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Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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können.
    „Verzichtet auf eine Gans zum Weihnachtstag! Ich höre zu viele von ihnen mit ihren Stimmen rufen, wenn sie alle Jahre wieder gen Süden ziehen.“
    Der Mann, dessen Gesichtsausdruck stets etwas Gebrochenes anhaftete, wenn er die Teiche besuchte, musste lächeln.
    „Versprochen. Was ist mit Wildbret?“
    Die Schwanenfrau machte ihr Äquivalent zu einer angewiderten Miene.
    „Ich werde nicht darum herumkommen“, entschuldigte er sich.
    „Ich weiß“, sagte die Schwanenfrau und legte den Kopf zurück auf seinen Schoß. „Ich weiß.“
    3.
    Von Zeit zu Zeit war es für den Fortgang der Geschichte nötig, dass sich jemand zur rechten Zeit am rechten Ort aufhielt. Wenn man ehrlich war, so war dies für Fortgang, Entstehung und Ereignen aller Geschichten – ob wahr oder erdacht – quasi konstitutiv. Für alles, das Menschen sich erzählten, musste zu irgendeinem Zeitpunkt jemand an irgendeinem Ort gewesen sein. Ob dies der richtige Ort war, war schließlich immer schlecht zu entscheiden – doch musste es sich so verhalten, denn sonst wäre die letztlich erzählte Geschichte eine gänzlich andere.
    So bleibe ich in meiner Erzählung gerne an dem Punkt hängen, an dem sich unser streunender, nach Informationen haschender vierbeiniger Freund Marius in Ermangelung weiterer Inspiration vor dem Haus des Pastors Steinberg herumtrieb.
    Denn just zu der Zeit, als Hagen und ich auf unserem Weg zu Geigenbauer Fechner waren, suchte jemand den Pastor auf. Wenn auch sicher nicht zu einem moralisch untadeligen Zwecke, so doch, um sich über bestimmte Moralitäten Gewissheit zu verschaffen.
    Die Witwe Conradi – der sich zu Lebzeiten äußerst erfolgreich auf die Kunst des Holzhandels verstanden hatte – kam, eingehüllt in schwere, wetterfeste Kleidung, den mit Kopfsteinpflaster ausgelegten Weg hinauf zum Pfarrhaus bei der Michaeliskirche.
    Marius, der seine eigenen Gründe hatte, warum er uns bei unseren Unternehmungen helfend zur Seite stand, witterte eine Chance, dem Tag eine wenigstens nicht ganz so unerträglich langweilige Richtung zu geben wie bisher.
    Was er bald herausfinden sollte, war, dass sich der Tagesverlauf infolge des zu belauschenden Gesprächs überaus kurzweilig gestalten würde ...
    4.
    Die Fechners erwiesen sich als das völlige Gegenteil von Walther und Elsa Ebers, obwohl ihnen ebenfalls das Schicksal der Kinderlosigkeit zugefallen war. Keiner von beiden fand ein böses Wort über den anderen, sie gingen aus tiefster Zuneigung wohlwollend miteinander um, ein Gedanke, der mir schweren Herzens wieder in Erinnerung rief, wonach wir letztlich alle streben.
    Anton und Hedwig Fechner waren im besten Alter auf Anfrage des alten Grafen von Eulenbach nach Leyen gezogen und hatten dort ihr Handwerk aufgenommen. Beinahe dreißig Jahren war es her, dass Viktor von Eulenbach abgedankt und die Geschäfte seinem Sohn Thaddäus überlassen hatte. So weit zur einzigen wirklich nennenswerten Begebenheit in einem ansonsten sehr beschaulichen und vor allem zufriedenen Leben.
    Die kleine Kate am Werksweg, die die beiden bewohnten, war etwas verwinkelt, denn abgesehen von Räumen, in denen Anton das Holz für seine Instrumente lagerte oder trocknete, fügte sich noch eine Werkstatt in das Gesamtbild des kleinen Häuschens ein. Diese war allerdings einer Beule gleich im Laufe der Zeit über die ursprünglichen Hauswände hinausgewachsen.
    „Wissen Sie“, versuchte ich mich zu erklären, während Hedwig Fechner mir frisch aufgebrühten Tee eingoss. „Es klingt etwas seltsam, was wir hier tun. Unser Beruf ist ... sagen wir mal, er ist etwas gewöhnungsbedürftig. Zumindest für den Großteil der Leute.“
    Doch Fechner winkte ab. „Sie brauchen mir nichts von seltsamen Berufen erzählen, mein Lieber. Was meinen Sie wohl, wie man als Geigenbauer in dieser Welt dasteht?“
    Guter Punkt. Offenbar hatten wir beschlossen, Verständnis füreinander zu hegen. Dann musste ich ja nur noch mit der Tür ins Haus fallen.
    „Wissen Sie etwas über eine Menschenknochengeige?“
    Fechner, der gerade zu einem Schluck Tee angesetzt hatte, hielt überrascht inne.
    „Nein“, sagte er zögerlich und stellte die Tasse wieder ab.
    „Was ist mit der Geige der Grafentochter?“, mischte Hagen sich ein.
    Der gute Hagen. Immer in der Lage, eine Gesprächssituation entgleiten zu lassen. Ich boxte ihn unterm Tisch in den Oberschenkel.
    „Langsam, langsam!“
    Fechner hob die Hände. „Ja, es klingt etwas seltsam, aber da gibt es

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