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Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Teil des Ganzen gelöst zu haben, ein offenes Ende gefunden zu haben, wuchs der Knotenberg nur noch weiter. Wie ein aufquellender Hefeteig.
    Er hatte nicht schlafen können und stapfte in seinen Mantel gehüllt schlecht gelaunt durch den eisigen Novemberregen in den Parkanlagen um den Eulenbach’schen Landsitz herum. Die Temperaturen waren empfindlich gesunken, aber noch nicht so sehr, dass es für Schnee gereicht hätte, und Hagen fror. Doch die frische Luft machte ihn wach und belebte seinen trägen und unzufriedenen Geist.
    Geist!
    Eigentlich weder ein Wort, das er momentan hören noch ein Gedanke, den er fassen wollte.
    Doch just in diesem Moment geschah etwas, das dem Ganzen vielleicht eine entscheidende Wendung geben konnte. Hagen blieb stehen und staunte unverhohlen. Eine ganze Weile, bis er sich eines Besseren besann und – immer noch unbemerkt – hinter einem der Büsche versteckte, die vor Monaten noch hätten in Form geschnitten werden sollen.
    Dort saß Thaddäus von Eulenbach auf einer Parkbank und tätschelte mit der Hand den Kopf eines einsamen Schwans. Doch nicht nur das. Der Schwan ließ ihn sogar gewähren. Wie ein gut erzogenes Haustier. Aber auch das war noch nicht alles. Der Graf sprach mit dem Schwan. An sich kein Grund zur Besorgnis, es gab auch Leute, die mit ihren Hunden sprachen ...
    Oder mit Katzen, war Hagens zweiter, alarmierender Gedanke. Doch ebenso wie Marius schien der Schwan so viel Mitteilungsbedürfnis zu haben, dass er antwortete – mit einer Frauenstimme.
    Was sie sagten, verstand Hagen nicht, aber es war ihm auch entschieden egal. Sachter Zorn wallte in ihm auf. Kontrollierbar, aber ohne Frage vorhanden. Sie wurden hier also tatsächlich zum Narren gehalten. Nicht nur, dass es hier irgendetwas geben musste, das die Tiere zum Sprechen brachte. Nein, der Graf selbst wusste auch noch darum.
    Was lief hier nur für ein abgekartetes Spiel?
    Grimmig kauerte Hagen hinter seinem Gestrüpp und überdachte die nächsten Schritte. Salandar war immer noch in Hameln.
    Sehr schön, dachte er voller Sarkasmus, ausgerechnet der mit dem meisten theoretischen Wissen.
    Lucien ging es mehr schlecht als recht.
    Dann musste er auf eigene Faust handeln.
    Er wartete vor Kälte zitternd, bis Graf und Schwan ihre Unterredung beendet hatten und ersterer seiner Wege ging. Er sah traurig aus, und eine Spur von Bedauern mischte sich in die Wut, die Hagen mit tiefen Atemzügen und dem Schmieden von Plänen zu unterdrücken versuchte.
    Der Graf wirkte schlaff und bleich. Gebrochen, hätte man sagen können.
    Doch jetzt war keine Zeit für Rührseligkeit.
    „Guten Morgen“, begrüßte Hagen den eleganten Vogel, der ihn keines Blickes würdigte. „Ich habe euch gesehen. Dich und den Grafen. Gehört habe ich auch ein wenig, und ich verlange eine Erklärung! Umgehend!“
    Der Schwan schien ihn nicht zu hören. Oder nicht hören zu wollen.
    Hagen holte tief Luft und versuchte, seine Wut abzuschütteln ...
    „Hör mal“, meinte er und ließ sich auf die Parkbank nieder, während er den Schwan fixierte. „Es sterben Menschen da draußen. Keiner weiß wieso, und die wenigen, die von den Vorgängen zu ahnen scheinen, halten die Klappe. Es sterben Menschen!“
    Endlich drehte der Schwan den Kopf. Eine elegante Traurigkeit lag in dem Blick, der Hagen beinahe ins Mark traf. Er fühlte sich schuldig, ohne dem Schwan je etwas getan zu haben.
    Dann begann der Schwan zu sprechen. Sanft und leise, aber gut verständlich für den Geübten, und was der schöne Vogel zu sagen hatte, ließ das Blut aus Hagens zorngeröteten Wangen weichen.
    9.
    Während Hagens Unterredung mit dem Schwan eilte ich unter dröhnenden Kopfschmerzen an den Waldrand, wo man die Leiche von Emilia gefunden hatte – einem leichten Mädchen aus dem Etablissement der schon verblichenen Madame Ellen.
    Marius hoppelte hinter mir und Maria Regener her, während wir auf unserem Weg einen Schaulustigen nach dem anderen überholten. Wir mussten schneller sein als der Strom der Gaffer.
    Caspar war etwa eine Viertelstunde zuvor in mein Zimmer und in den Bericht des Katers geschneit und hatte aufgeregt – und in einem sehr akzentbehafteten Deutsch – davon berichtet, dass man eine weitere Leiche gefunden hatte.
    Wo war Hagen, wenn man ihn brauchte? Verdammt noch mal!
    Am Waldrand, ein paar Meter abseits der Straße nach Hameln, empfing mich bereits ein mürrischer Calaminus.
    „Sieht aus, als würde das in Ihr Metier fallen“, brummte er, als ich zu

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