Lange Finger - flinke Beine
sich um ein Fotoalier zu handeln. Wenn auch die Kameras fehlten, so vermittelten doch die zahllosen, von der Decke herunterhängenden Scheinwerfer diesen Eindruck. Erst beim zweiten Blick erkannte man die von einer dunkelblauen, farbverspritzten Decke halb verborgene Staffelei; dazu auf einem Tisch in der linken Ecke zahllose Gläser und Behälter mit Pinseln.
Meterhohe Hintergrundfotos lehnten an der anderen Wandseite.
Georges Pauquet sah zur Uhr.
23 Uhr 45
Georges zündete zwei Dutzend Kerzen auf nicht weniger seltenen und prunkvollen Leuchtern an. Er war nicht nur Antiquitätenhändler und Maler, er war auch ein Romantiker.
23 Uhr 48
Aus winzigen, unsichtbaren Lautsprechern ertönte plötzlich ein Motiv aus »Peer Gynt«.
Pauquet kontrollierte das »Bühnenbild« mit einem letzten Blick, bevor er zur Tür ging.
»Da bin ich!« sagte sie in ihrer quietschend-kichernden Sprechweise. Und überflüssigerweise: »Haben Sie schon auf mich gewartet?«
Er lächelte: »Ich habe Sie herbeigewünscht, Célia. Wie war die Vorstellung?«
»Ach, wie immer...« Sie lauschte verwundert. »Was ist das für komische Musik?«
»Sie heißt >In der Halle des Bergkönigs<, stammt von Edvard Grieg und ertönt immer dann, wenn jemand auf meinen Klingelknopf drückt«, erklärte Pauquet lächelnd. Célia kicherte. »Sie sind ein Komiker, Monsieur Pauquet. Musik statt einer Klingel.«
»Nennen Sie mich Georges!«
Sie betraten den Salon. Er im dunkelblauen Zweireiher von Cardin, sie in einem ordinären Fähnchen aus hellblauem Georgette, einer Bernsteinkette und überhohen Korksohlenschuhen. Sie nahm sich in dieser Umgebung aus wie ein Steingutkrug unter Meißner Porzellan.
Sie betrachtete die Kerzen, Möbel, die Gläser, die Bilder, die Miniaturen, und sie zog die Mundwinkel ein wenig geringschätzig nach unten.
»Sammeln Sie nur so altes Zeug, Georges?«
Pauquet nickte. Ernst und doch entschuldigend. »Nur so altes Zeug, Célia... Es sei denn, daß ich gelegentlich auch etwas Schönes aus der Gegenwart finde... So etwas Schönes wie Sie zum Beispiel...«
»Oh«, quietschte sie fröhlich. »Sie finden mich schön, Georges?«
»Zum Malen schön... Nicht jedes Mädchen verfügt über einen so vollkommen gewachsenen Körper wie Sie!« Er nahm sie bei der Hand und führte sie in das kleine, intime Speisezimmer, wo der warme Schein eines siebenarmigen Leuchters erlesene Speisen auf unschätzbarem Porzellan erhellte. Im Schliff uralter Weinkelche brach sich das flackernde Kerzenlicht.
»Oh...!« sagte sie beeindruckt. »Wie im Film...« Georges Pauquet zog einen der Stühle zurück und wartete, bis sie saß. Nachdem er auch selbst Platz genommen hatte, sagte er: »Wir werden speisen, etwas ruhen und anschließend mit der Arbeit beginnen...«
Célia Berlettes, Tochter einer Köchin aus dem 2. Arrondissement und gegenwärtig Tänzerin eines zweitklassigen Etablissements am Montparnasse, nickte. Ein wenig verloren sah es aus, ihr Nicken...
Als er ihre Suppentasse füllte, klingelte das Telefon.
Es war 0 Uhr 12.
Célia bemühte sich, aus der Mimik ihres Gastgebers die Ursache dieser unerwarteten Störung zu lesen. Als ihr dies jedoch nicht gelang, begann sie unüberhörbar ihre Krebsschwanzsuppe zu löffeln.
Das sehr einseitig geführte Gespräch dauerte ganze drei Minuten.
Doch statt an den Tisch zurückzukehren, wandte sich Pauquet der Garderobe zu.
»Was ist denn, Georges?« rief Célia ungeduldig.
Als er wieder eintrat, hielt er ihren Schirm in der Hand. Und mitten hinein in ihr stummes, fassungsloses Staunen sagte er:
»Ich bin untröstlich, C6lia, aber wir müssen unsere heutige Sitzung leider abbrechen.« Und echtes Bedauern war in dem Blick, der ihr Puppengesicht streichelte.
»Und das schöne Essen?« Célia machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung... »Das ganze Wochenende wollten Sie mich malen, Monsieur Georges... Und zwanzig Francs wollten Sie mir für die Stunde geben...«
Georges legte ihr fünfhundert Francs neben die Suppentasse. »Hier, das wird Sie hoffentlich fürs erste tröstlich und versöhnlich stimmen...«
»Oh, Georges... Das soll ich annehmen? Für nichts?«
»Sie sollen nicht nur, Célia, Sie müssen sogar ...«
1 Uhr 30
Georges Pauquet verließ die Straße nach Versailles an der angegebenen Stelle und lenkte seinen Wagen auf den verlassenen Parkplatz neben der ehemaligen Omnibushaltestelle.
Er schaltete Motor und Licht aus und ließ die elektrisch betriebenen Fenster
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