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Lange Finger - flinke Beine

Lange Finger - flinke Beine

Titel: Lange Finger - flinke Beine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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Nervosität. Und fast ängstlich starrte er dabei auf die kleine, eiserne Pforte inmitten einer nach beiden Seiten endlos verlaufenden Mauer.
    Da endlich...
    Das Quietschen der Pforte hatte für den Wartenden etwas Erlösendes an sich.
    Ein Mann trat heraus. Er steckte in einem etwas altmodischen hellbraunen Zweireiher und trug einen Lederkoffer in der Hand. Ohne Aufenthalt steuerte er auf den Parkplatz zu. Seine Miene verriet, außer einer Spur von Befriedigung, keinerlei Gemütsbewegung.
    Der Fahrer des Wagens schnipste seinen Zigarettenrest weg und ging dem anderen zögernd zwei, drei Schritte entgegen. Er hob leicht die Hand, deutete ein Winken an, und um seine Lippen legte sich ein schüchternes Lächeln.
    »Hallo, Ascot, willkommen in der Freiheit.« Seine Stimme klang belegt oder auch so, als ob er einen ausgetrockneten Mund habe. »Ich hoffe, daß...« Und er verstummte wieder, als er den kühlen, beherrschten Blick des Neuankömmlings wahrnahm.
    »Laß uns einsteigen!«
    Als sie nebeneinander saßen, zündete sich der junge Mann mit bebenden Fingern eine neue Zigarette an.
    »Gib mir bitte auch eine!«
    Sie rauchten still eine Weile vor sich hin. Dann:
    »Mußtest du lange bitten, bis man bereit war, dich zu dieser unmöglichen Zeit zu entlassen?«
    Ascot Murphy deutete ein Achselzucken an. Weiterhin rauchend und mit halbgeschlossenen Augen durch die Frontscheibe sehend, antwortete er:
    »Nein.« Und ironisch fügte er hinzu: »Ist ein guter Direktor nicht nur ein guter Direktor, sondern auch ein guter Psychologe, wird er einem reuigen Sünder einen solchen Wunsch nicht abschlagen.«
    »Und wie hast du diesen Wunsch begründet?«
    Fast monoton kam die Erwiderung: »Ich habe an der Gesellschaft gesündigt, Sir, und es ist mir ein innerliches Bedürfnis, mit der Wiedergutmachung bei Tagesanbruch zu beginnen... Sir!«
    Der junge Mann an der Seite des Strafgefangenen schluckte. »Und er hat dir geglaubt?«
    »Er hatte keinen Grund, es nicht zu tun. Er bot mir sogar hundert Pfund aus seiner privaten Brieftasche als Starthilfe an.«
    »Und — hast du angenommen?«
    »Dann hätte ich gesagt: Er hat mir hundert Pfund Starthilfe gegeben.« Die Ironie war noch immer in seiner Stimme. »Immerhin hast du es ihm zu verdanken, daß man dir über ein Jahr erlassen hat!« warf der junge Mann hinter dem Steuerrad ein, und es klang aggressiv.
    Ungerührt gab Ascot Murphy zu verstehen, was er von dieser Geste hielt:
    »Geblieben sind mir neun Jahre, Ben... Neun Jahre, das ist so lang wie zwei Leben... Es gab in diesen neun Jahren nur einen einzigen Augenblick der reinen, ungetrübten Freude. Das war der Augenblick, als ich deine Nachricht erhielt, daß du ihn gefunden hast.«
    »Ascot, ich...«
    Ascot Murphy schnitt ihm das Wort ab. »Laß mich reden, Kleiner... Haß... Weißt du, was Haß ist? Ich habe viel nachgedacht über dieses Gefühl, über dieses herrliche Gefühl. Herrlich und selbsterhaltend. Ich bin bis obenhin voll von dieser Herrlichkeit. Ohne Haß wäre ich«, er deutete mit dem Daumen hinter sich, »dort drin kaputtgegangen. Ja, Kleiner, nur der Haß hat mich noch leben und atmen lassen. Hat mir die Kraft gegeben, in einem unendlich langen Schauspiel die Hauptrolle zu spielen: die Rolle des Büßers, Bereuenden und langsam Genesenden. O Ben, Haß ist eine wunderschöne Sache. Er macht aus dir fast einen Künstler. Er beflügelt deine Fantasie, zaubert dir die schauderhaft-schönsten Bilder herbei...«
    Ben Murphy fühlte ein Frösteln. War das sein Bruder As-cot? Schauer überliefen ihn, als er flüsterte: »Bilder der Rache...«
    »Ja, Ben, Bilder der Rache. Und jetzt laß uns fahren.« Der jüngere Murphy sah seinen Bruder verwundert an. »Fahren? Soll ich dir nicht erst berichten?«
    »Ja, aber nicht hier... Ich will nicht länger meine Rolle spielen. Fahr los, mach irgendwann halt. Inzwischen wollen wir nicht sprechen...«

    Nach etwa zwanzig Kilometern bog Ben Murphy von der Hauptstraße ab in einen Seitenweg ein und hielt.
    »Also, wo steckt er?« zischte Ascot Murphy haßerfüllt, kaum daß Ben den Motor abgestellt hatte.
    »Er hat sich in Schottland niedergelassen. Unter dem Namen George Garner bewohnt er zwischen Dundee und Aberdeen ein luxuriöses Landhaus.«
    »Familie?« fuhr Ascot verwundert auf.
    »Ja, er hat eine Frau namens Eileen Bredford geheiratet. Sie haben Zwillinge. Zwei Mädchen. Abigail und...« Ascots Hand fuhr durch die Luft. Mit verzerrtem Gesicht fauchte er seinen Bruder an:

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