Lange Finger - flinke Beine
zu lesen, beziehungsweise zu ahnen.
Das »E« und das »O« von »Belcroft« bestand nur aus kreisrunden Rostflecken.
Die schon ziemlich mitgenommenen Fresken im Treppenhaus zeugten von längst vergangener Vornehmheit. Trotzdem schien man sehr um Reinlichkeit bemüht. Alles war sauber geputzt und intakt. Es roch nach Bohnerwachs und Insektenspray.
Belcrofts Kanzlei befand sich im 2. Stock. Als der Besucher auf die Klingel drückte, war er noch immer zu keinem Resultat hinsichtlich des Grundes für den vom Notar gewünschten Besuch gekommen.
»Es ist mir angenehm, daß Sie pünktlich sind, Sir!« lächelte der Advokat, während er sich die langen grauen Haare aus der Stirn strich.
Belcroft, eine hagere Erscheinung, war Anfang sechzig. Sah man ihn so vor sich, konnte man Zweifel hegen, daß er seinem Schneider viel Freude bereitete. Es mußte in der Tat schwierig sein, die knochige, leicht nach vorn gebeugte Gestalt vorteilhaft zu bekleiden.
Housgard, so der Name des Eintretenden, stellte schweigend seinen Schirm in den Ständer, legte den Hut auf die Ablage und ließ sich beim Abstreifen des Mantels helfen.
Verwundert registrierte er, wie Belcroft den Schlüssel an der Korridortür herumdrehte.
Als er auch noch Mrs. Haggertys Schreibtisch unbesetzt sah, ahnte er, daß der Notar mit ihm allein sein wollte. Trotzdem fragte er: »Ist Mrs. Haggerty krank?«
»Nein, ist sie nicht. Aber mittwochs gebe ich ihr für den Nachmittag immer zwei Stunden frei. Da besucht sie ihren Mann im Krankenhaus.«
Sie setzten sich. Belcroft hinter seinen Schreibtisch, Housgard in einen der uralten, riesigen Ledersessel. Wieder lächelte Belcroft.
»Ich meinte, daß es gut wäre, wenn Mrs. Haggerty Sie nicht sieht.«
Housgard musterte sein Gegenüber mehr verärgert als neugierig. Und, eine Spur schärfer als beabsichtigt, sagte er: »Haben Sie einen mystischen Schub, Mr. Belcroft? Es ist Zeit, daß Sie die Katze aus dem Sack lassen! Wozu die ganze Heimlichtuerei?«
»Nichts ist ohne Sinn, Sir!« erwiderte Belcroft vieldeutig. Housgard machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Ich habe keine Lust, Rätsel zu raten. Warum darf niemand wissen, daß Sie mich angerufen und sich mit mir verabredet haben? Warum sollte ich allein kommen und dann auch noch zu Fuß... bei diesem Wetter?«
Belcroft stierte eine Weile vor sich hin, gerade so, als bereite ihm das Nachdenken Schwierigkeiten. Daß dabei seine Miene tieftraurige Nachdenklichkeit ausdrückte, schien ihm ebensowenig bewußt zu sein wie das Spielen seiner Finger mit einer Haarsträhne.
Als er Housgard endlich ansah, widerspiegelten seine Blicke verzweifelte Entschlossenheit, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen.
Er nickte Housgard zu. Kühl, gemacht distanziert, als habe nun die zweite Phase der Unterredung begonnen. Auch seine Stimme klang jetzt kalt und betont aggressiv. »Natürlich hätte ich auch einen Ihrer Brüder anrufen können, aber ich entschied mich für Sie, weil Sie, Absatz 1: der Letztgeborene sind, und Absatz 2: weil Sie...« ein kurzes Zögern, dann: »... das gleiche Hobby betreiben wie ich.« Housgard kniff die Augen zusammen. Betroffenheit und Verständnislosigkeit standen darin. Dann beugte er sich vor:
»Auf welches Hobby spielen Sie an, Mr. Belcroft?«
»Hundewetten, Sir!«
»Ach... Sie wetten auch?«
Belcroft schluckte, und wieder diese typische Handbewegung zu den Haaren. Seine Stimme klang heiser, als er antwortete:
»Ich weiß, daß Sie in letzter Zeit ebensoviel Pech hatten wie ich.«
Um Housgards Lippen huschte ein flüchtiges, bitteres Lächeln:
»Ich bin sicher, daß mein Pech eine andere Größenordnung darstellt als das Ihre. Woher wissen Sie eigentlich, daß ich eine Pechsträhne hatte?«
Belcroft zuckte mit den Schultern. »Ist das wirklich wichtig? Nehmen Sie an, ich hätte es durch Zufall erfahren.«
»Weder meine Frau noch meine Brüder wissen davon. Dabei soll es auch bleiben...« Housgard rutschte unruhig in seinem Sessel herum. Ein Verdacht hatte ihn durchzuckt, ein Verdacht, gefährlich und... ja, abenteuerlich. Rote Flecken bedeckten seine Wangen. Und er sprach aus, was ihn bewegte, atemlos machte:
»Haben Sie vor, mich zu erpressen, Mr. Belcroft?«
Der Notar winkte ab. Weniger gekränkt als müde. Wo eben noch Entschlossenheit herrschte, machte sich plötzlich Mutlosigkeit breit. Belcroft mußte sich zwingen, auf dem eingeschlagenen Weg weiterzugehen.
»Es geht um Ihre Erbtante, Lady Beverly!«
Housgard starrte den
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