Lange Zähne
achtmal die Straßenseite gewechselt.
Er war noch immer etwas benommen davon, beständig den Autos auszuweichen. Er
bestellte Cappuccino bei einem Kellner, der über ihm gluckte wie eine Henne,
dann klappte ihm die Kinnlade herunter, als derselbe Kellner mit einer Tasse
von der Größe einer großen Suppenschüssel und einem Teller mit braunen,
kristallinen Würfeln zurückkam.
»Das sind Rohzuckerwürfel,
Darling. Viel gesünder als das weiße Gift.«
Tommy nahm den Suppenlöffel und
griff nach einem Zuckerwürfel.
»Nein, nein, nein«, tadelte der
Kellner. »Wir benutzen unseren Demitassen-Löffel für unseren Cappuccino.« Er
deutete auf einen kleinen Löffel, der in der Untertasse lag.
»Demitasse«, wiederholte Tommy,
von Wagemut übermannt. In Indiana kam die Benutzung des Wortes »Demitasse« dem
Entblößen in öffentlichen Anlagen gleich. San Francisco war eine tolle Stadt!
Ein toller Ort für einen Schriftsteller! Und Schwule schienen echt nette Leute
zu sein, wenn man mal von ihrer offenkundigen Besessenheit für
Barbra-Streisand-Musik absah. Tommy lächelte den Kellner an. »Vielen Dank. Ich
könnte vielleicht etwas Hilfe bei den Gabeln gebrauchen.«
»Ist sie was Besonderes?« fragte
der Kellner.
»Ich denke, sie wird mir das Herz
brechen.«
»Wie aufregend!« quiekte der
Kellner. »Dann werden wir Sie ganz phantastisch aussehen lassen. Immer dran
denken, die Gabeln werden der Reihe nach von innen nach außen benutzt. Der
große Löffel ist zum Aufrollen der Pasta gedacht. Ist das Ihr erstes
Rendezvous?
Tommy nickte.
»Dann bestellen Sie die Ravioli -
Bißgröße - kein Kleckern, kein Tropfen. Sie werden gut aussehen, wenn Sie sie
essen. Und für sie bestellen Sie das Rosmarin-Hähnchen mit gerösteten Paprika
und Wildpilzen in Sahnesauce - ein wunderschönes Gericht. Schmeckt scheußlich,
aber beim ersten Rendezvous wird sie sowieso keinen Bissen anrühren. Sie haben
nicht zufällig noch Zeit genug, schnell nach Hause zu laufen und sich
umzuziehen, oder?«
Der Kellner sah Tommys Flanellhemd
an, als wäre es ein ekliges, totes Tier.
»Nein, alles andere ist in der
Wäsche.«
»Ach, was soll's, es besitzt einen
gewissen Mr.-Green-Jeans-Charme, vermute ich.«
Tommy erspähte aus dem Augenwinkel
einen roten Haarschopf und blickte auf, als Jody gerade das Café betrat. Der
Kellner folgte seinem Blick.
»Ist sie das?«
»Ja«, erwiderte Tommy und winkte,
um sie auf sich aufmerksam zu machen. Sie entdeckte ihn und kam auf den Tisch
zu.
Jody war in einen khakifarbenen
Rock, eine hellblaue Chambray-Bluse, hellblaue Leggings und hellbraune
Wildlederhalbschuhe gekleidet. Sie trug einen geflochtenen Ledergürtel, einen
um die Schultern geknoteten grünkarierten Schal, silberne Ohrringe, ein
Armband, eine Halskette und anstelle ihrer Reisetasche einen Rucksack aus
Wildleder.
Ohne den Blick von Jody zu lösen,
beugte sich der Kellner vor und flüsterte Tommy ins Ohr: »Das Flanellhemd paßt
sehr gut, Darling. Seit Batman hat niemand mehr ein solches Übermaß an
Accessoires zur Schau getragen.« Er richtete sich auf und zog für Jody einen
Stuhl vor. »Hallöchen, wir haben Sie schon erwartet.«
Jody setzte sich.
»Ich heiße Frederick«, stellte
sich der Kellner mit einer leichten Verbeugung vor. »Ich werde Sie heute abend
bedienen.« Er zupfte am Stoff von Jodys Schal. »Ein tolles Karomuster, Liebste.
Es unterstreicht Ihre Augen. Ich bringe Ihnen sofort die Speisekarte.«
«Hallo«, sagte Jody zu Tommy.
»Warten Sie schon lange?«
»Eine Weile. Ich war mir nicht
ganz sicher, wann genau wir verabredet waren. Ich habe Ihnen etwas
mitgebracht.« Er griff unter den Tisch und zog ein Buch aus einer
City-Lights-Tüte. »Das ist ein Kalender. Sie sagten, Sie bräuchten einen.«
»Das ist ganz lieb.«
Tommy senkte den Blick und hauchte
stumm ein »Ach, das ist doch nicht nötig«.
»Nun, wohnen Sie hier in der
Nähe?« fragte Jody. »Ich bin prinzipiell auf Wohnungssuche.«
»Ach, wirklich? Sind sie schon lange in der Stadt?« »Nicht
ganz eine Woche. Ich bin hergekommen, um hier zu schreiben. Der Supermarkt ist
bloß ein ... bloß ein ... »Job«, beendete Jody den Satz für ihn.
»Genau, bloß ein Job. Was machen
Sie beruflich?«
»Ich war Sachbearbeiterin bei der
Transamerica. Momentan suche ich nach etwas anderem.«
Frederick erschien am Tisch und
klappte zwei Speisekarten vor ihnen auf. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben
darf«, sagte er, »Sie beide sehen einfach süß zusammen aus.
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