Lange Zähne
Stetson wieder über die Augen und
lehnte sich gegen die Kasse. »Nun, du solltest für deinen Freund da besser die
Jungs mit den weißen Kitteln rufen.«
»Ich kümmere mich schon um ihn«,
gab Tommy zurück. »Ihr Jungs fangt schon mal mit Entladen an.« Er öffnete die
Bürotür und steuerte den Kaiser hinein.
»Was ist mit meinen Mannen?«
fragte der Kaiser.
»Die sind hier sicher. Kommen Sie
mit rein, und erzählen Sie mir alles.«
»Aber das Ungeheuer?«
»Wenn er mich töten wollte, wäre
ich schon längst tot.« Tommy schloß die Bürotür hinter ihnen.
Eine richtig gestylte Frisur,
überlegte Jody. Zu diesem Aufzug gehört eine richtig gestylte Frisur. Nach all
den Jahren, in denen ich versucht habe, mein Haar zu zähmen, muß ich jetzt
feststellen, daß ich mich nur wie eine Luxus-Nutte hätte anziehen müssen, und
alles wäre in Ordnung gewesen.
Sie ging die Gerry Street entlang,
in der Hand noch immer ihre nachgemachte Gucci-Tasche mit den Gratis-Kosmetika.
Irgendwo hier gab es einen neuen Club ; Jody wollte tanzen oder zumindest
ein bißchen angeben.
Ein Bettler mit einem Pappschild
um den Hals, auf dem stand: Ich bin arbeitslos und Analphabet (ein Freund hat
das für mich geschrieben), hielt Jody an und versuchte, ihr eine kostenlose
Wochenzeitung aufzuschwatzen.
»Die kann ich überall mitnehmen.
Sie ist kostenlos«, erklärte er Jody.
»Ach ja?«
»Ja. Sie verteilen sie in jedem
Geschäft und in jedem Café der Stadt.«
»Ich habe mich schon gefragt,
warum sie überall herumliegen.«
Jody war wütend auf sich, weil sie
sich in die Unterhaltung hatte ziehen lassen. »Hier oben in der Ecke steht es
ganz deutlich: ‚Kostenlose’.«
Der Bettler zeigte auf das Schild
um seinen Hals und versuchte, eine kummervolle Miene zu machen. »Vielleicht
können Sie mir trotzdem einen Quarter dafür geben?«
Jody machte Anstalten
weiterzugehen. Der Bettler folge ihr auf gleicher Höhe. »Auf Seite 10 steht ein
toller Artikel über Selbsthilfegruppen.«
Jody sah ihn scharf an.
»Hat mir jemand erzählt«, erklärte
er.
Jody blieb stehen. »Ich gebe Ihnen
das hier, wenn Sie mich dann in Ruhe lassen.« Sie hielt ihm die Kulturtasche
hin.
Der Bettler tat so, als müsse er
es sich überlegen. Er musterte Jody von oben bis unten, mit einem Zwischenstopp
an ihrem Dekolleté, bevor er ihr in die Augen sah. »Vielleicht könnten wir eine
andere Art von Bezahlung finden. Dir muß kalt sein in dem Kleid. Ich könnte
dich aufwärmen.«
»Wenn ich einem Kerl begegne, der
arbeitslos und ein Analphabet ist und seit Wochen nicht gebadet hat, werde ich
gewöhnlich vor Erregung ganz feucht, aber heute abend habe ich irgendwie
schlechte Laune, also nimm die Tasche und gib mir die verdammte Zeitung, bevor
ich deinen kleinen Kopf platzen lasse wie einen Pickel.« Sie rammte ihm die
Tasche vor die Brust, so daß er rücklings gegen das Schaufenster eines geschlossenen
Fotogeschäfts taumelte.
Der Bettler hielt ihr zaghaft die
Zeitung hin, und Jody riß sie ihm aus der Hand.
»Du bist ne Lesbe, stimmt's?«
sagte er.
Jody schrie ihn an - eine
schrille, wortlose Explosion blanker, unmenschlicher Frustration - eine hendrix-hohe
Note, gesampelt und gesungen von einer Milliarde gemarterter Seelen des
Höllenchors. Die Schaufensterscheibe des Fotogeschäfts zerbarst und prasselte
in tausend Scherben auf den Bürgersteig. Die Alarmanlage des Ladens heulte los,
leise im Vergleich zu Jodys Schrei. Der Bettler hielt sich die Ohren zu und
rannte weg.
»Cool«, sagte Jody, sehr zufrieden
mit sich. Sie schlug die Zeitung auf und las, während sie die Straße entlang zu
dem Club ging.
Vor dem Club reihte Jody sich in
die Schlange gutgekleideter Möchtegerne ein und las weiter in ihrer Zeitung,
während sie aus dem Augenwinkel die bewundernden Blicke der Männer in der
Schlange genoß.
Der Club hieß 753. Es kam Jody so
vor, als hätten alle neuen, angesagten Clubs Zahlen statt Namen. Kurt und seine
Börsenkumpel waren begeisterte Anhänger der numerierten Clubs gewesen, woraus
sich Montagmorgen-Unterhaltungen ergaben, die eher wie mathematische
Gleichungen klangen: »Wir sind im Vierzehn-Zweiundneunzig und im
Zehn-Sechsundsechzig gewesen, dann hat Jimmy zehn Halbe im Neunzehn-Siebzehn
getrunken und ist nach Hause abgedampft um seine Freundin zu einem
Neunundsechziger zu überreden.« Normalerweise hätten so viele Zahlen Kurt
augenblicklich an seinen PC hechten lassen, um Trendentwicklungen und Prognosenwerte
zu ermitteln.
Weitere Kostenlose Bücher