Langenscheidts Handbuch zum Glück (German Edition)
Mann oder Frau, tun wir nicht so, als seien wir unfehlbar. Wir machen Fehler, andere tun es auch, und meistens sind wir gezwungen, irgendwie miteinander auszukommen. Das geht nicht ohne Verzeihen. Es ist das Öl im Getriebe der Gesellschaft.
Alles andere endet in Entfremdung, Isolation, Scheidung, Krieg.
Ich habe das Verzeihen durch meine zweite Frau gelernt. Sie kann es – und hat mich immer wieder zu Tränen gerührt. Sie kann Kälte und Distanz nicht aushalten und kommt daher selbst dann auf mich zu, wenn die Hauptschuld bei mir lag. Sie will den Prozess einfach in Gang halten, will nicht die Tür zuschlagen, will jede Distanzierung und Abkehr verhindern. Ich selbst brauche immer ein wenig länger, bis der Wille zur Entschuldigung wirklich da ist. Erziehung kann man nicht ungeschehen machen.
Und eine Entschuldigung, die nicht von Herzen kommt, kann man in der Pfeife rauchen.
Also zehn Minuten später, aber immerhin. Und wie gut das tut, dem geliebten Menschen zu sagen, wie sehr man bedauert, was man gerade sagte oder wie man mit ihm umging. Wie all die Liebe und all das Gefühl zurückkehren! Nicht nur ist alles vergessen, nicht nur alles gereinigt, nein, vielleicht ist die Liebe sogar ein Stück gereift danach.
Anders zu leben scheint mir nicht mehr möglich. Unter den Teppich kehren, verdrängen, unausgesprochen lassen – das löscht jedes Mal einen Lichtstrahl der Liebe.
Unsere Töchter lernen es schon ganz früh. Es ist so schön und so intensiv, wenn ein Zwillingsmädchen nach einem Zerwürfnis und großen Tränen und viel Geschrei zum anderen geht, sie auf den Arm küsst und »'tschuldigung« murmelt. Und die andere lachen muss und zurückküsst. Und eine Minute später beide wieder vereint spielen, als sei nichts gewesen.
Wäre ich Minister für Glück, würde ich meinen Kollegen für Erziehung, Schule und Bildung überzeugen, Module im Unterricht einzuführen, in denen man das Entschuldigen lernt und die Rechthaberei mit einem Felsen am Bein im Meer versenkt.
Wenn Sie mal wieder am Leben verzweifeln, denken Sie an
… NICK VUJICIC
Er hat weder Arme noch Beine. Doch anstatt sich zu verkriechen, geht er mit doppelter Kraft und Lust durchs Leben. Er surft leidensachaftlich gern (ja!), angelt und gründet Unternehmen. Sein Lachen, seine Abenteuerlust und sein Charme erobern die Herzen der Menschen. Er ist glücklich, auch wenn alles an ihm anders ist. Denn er sieht sich so, wie er ist, als einen Gedanken Gottes.
»Ohne Arme und Beine ist nicht halb so schlimm wie ohne Hoffnung«, sagt er. Sein schönster Satz aber ist: »Wenn kein Wunder passiert, sei selbst eins!«
XIX
Mutter- und Vaterglück
WARUM NUR SCHENKEN UNS KINDER – immer wieder – so viel Glück?
Fünfzig Erklärungsversuche, da eine umfassende und systematische Antwort unmöglich scheint:
Sie holen uns auf den Boden zurück. Und lassen uns manchmal fliegen.
Sie reißen uns aus jedem Anflug von Melancholie.
Sie lassen uns die Welt neu entdecken. Und die Sprache gleich dazu.
Sie brauchen uns. Und zeigen das deutlich.
Sie stellen alles infrage, was wir mühevoll an Weltordnung in uns aufgebaut haben.
Sie verlassen ohne Zögern die Autobahnen des Geistes und fahren mit Karacho auf Nebenwegen herum.
Sie verbinden das scheinbar Unzusammenhängende.
Jedes von ihnen lässt uns ein weiteres Leben leben – mit allen Höhen und Tiefen.
Sie konfrontieren uns mit einer eigenen Agenda, die nur die ihre ist.
Sie lassen uns den Lehrer in uns entdecken. Wir dürfen ihnen die Welt zeigen.
Sie geben uns das schöne Gefühl, Glied einer Kette zu sein. Wissen und Werte unserer Eltern und Großeltern weitergeben zu dürfen. Eine Welle im Fluss der Zeit zu sein.
Ihre Unschuld macht uns manchmal fast Angst. Alles ist noch so unverdorben.
Sie diskutieren eine Viertelstunde mit uns darüber, wer wen mehr lieb hat.
Sie küssen uns unvermittelt auf den Mund oder den Po oder die Hand.
Sie verfolgen keine Strategie und haben keine Taktik. Beim Versteckspiel können sie nicht anders, als ihr Versteck zu verraten.
Sie erinnern sich an alles, da ihr Gehirn noch so wunderbar offen ist und nicht überfüllt mit Krempel.
Sie lassen uns nicht zu Atem kommen, halten uns so richtig jung.
Sie schenken uns das tiefe Gefühl von Verantwortung für das Leben eines anderen. Und Hunderte von Momenten, die wir nie vergessen werden.
Sie zeigen uns beim Gutenachtsagen, dass es die Kunst der Konversation doch noch gibt.
Sie halten uns mit alldem, das sie
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