Langenscheidts Handbuch zum Glück (German Edition)
Weise freuten wir uns sogar darauf.
Na, Elternsein bedeutet natürlich auch, für das Kind da zu sein, wann immer es einen wirklich braucht. Wenn beim Barfußfahrradfahren der halbe Zeh abgerissen wird und die Tränen erst im OP-Saal nach der Narkosespritze versiegen (was für eine Erleichterung für den mitleidenden Dad!). Oder wenn ein Sohn vor lauter Aufregung in eine große Glastür rennt und wenig später aus mehreren Wunden blutend blass auf dem Steinboden liegt und mit Blaulicht und Martinshorn in die Unfallklinik gebracht werden muss und man selber mit zugeschnürter Kehle neben ihm sitzt, seine Hand hält, ihn abzulenken und ihm den Eindruck zu vermitteln sucht, alles würde schon wieder gut werden. Solche Momente, so schmerzlich und sorgenvoll sie sind, verbinden auf das Tiefste. Sie sind Teil des Vaterglücks.
Ich glaube, dass Riten und Reden wie ein virtuelles zweites Haus sind neben dem, in dem man wirklich wohnt. Taufen, Konfirmation, Schulabschluss, Geburtstag – Anlässe gibt es viele. Und wenn man als Vater sieht, wie dem vierzehnjährigen, eigentlich sehr coolen Konfirmanden die Tränen vor Rührung die Wangen herunterlaufen, wird der Moment in Stein gemeißelt im Buch der Erinnerung.
Eine andere Rede führte ebenfalls zu Tränen, aber bei mir selbst. Es ging um den Abschied eines der beiden Söhne ins Ausland. Ich dachte, ich könnte das ganz locker machen. Aber nichts da. Nach drei Minuten musste ich so heulen, dass ich abbrechen musste. Später reichte mir ein Freund ein Glas Wodka, weil er zu Recht meinte, dass ich das bräuchte, um wieder zu mir zu kommen. Abschiede sind ohnehin nicht meine Stärke. Jahrelang sahen die groß gewordenen Söhne in den entsprechenden Momenten davor sorgenvoll in meine Augen, ob ich wieder zu emotional werden würde. Und dezent sorgten sie dafür, dass nicht zu viele Freunde dabei sein würden, weil ihnen die Stärke der Gefühle natürlich ein wenig peinlich war. Inzwischen geht es besser, obwohl ich sie nicht weniger liebe. Doch Glück fühlt sich anders an.
Was wohl jede Familie miteinander verbindet und ihre Einzigartigkeit ausdrückt, sind kleine, oft gebrauchte Formulierungen, deren tiefste Bedeutung nur die Familienmitglieder verstehen. Bei uns sind das zum Beispiel »Na toll!« für etwas, das nicht großartig ist, aber verkraftbar. Oder »saugut« für etwas, das einen einfach umhaut vor Begeisterung. Oder »so mittel« für etwas, das eigentlich schrecklich ist, man dies aber aus Höflichkeit nicht so direkt sagen möchte.
Als die Söhne etwa zwölf und vierzehn waren, kamen wir auf die Idee aufzulisten, was man als Mann im Leben so können sollte. Klavierspielen, Tischfußball, Schach, Schwimmen, Tanzen, Skifahren und so weiter. Als wir die Liste von vierzig Disziplinen zusammenstellten, war ich noch in achtunddreißig überlegen. Doch dann folgte Wettkampf auf Wettkampf – und etwa fünf Jahre später war es genau umgekehrt. Das Erstaunliche: Bei jedem anderen männlichen Herausforderer wäre ich beleidigt gewesen; bei meinen Söhnen war ich stolz. Der Strom der Zeit bedeutet Glück, auch wenn man plötzlich nur noch Drittbester ist.
Inzwischen gehe ich mit jedem der beiden Söhne einmal pro Vierteljahr zu zweit in irgendeinem originellen Restaurant irgendwo auf der Welt essen und freue mich, wenn er auf meine dezente Frage, ob ihn irgendwas bedrückt oder beschäftigt, nach langem Überlegen sagt: »Ob ich eine Frau finde, die mich lebenslang fasziniert?« Mit solchen Sorgen kann man leben, und es macht mich zutiefst glücklich, dass ich beiden jungen Männern ein festes Fundament des Glücks habe bauen können. Wir reden über alles, wir skypen, wir haben Spaß. Wir wandern durch schottische Moore und baden in zu hoher Brandung. Wir haben alle wichtigen Entscheidungen im Alter zwischen zehn und zwanzig so intensiv gemeinsam besprochen und gefällt, dass ich zutiefst vertraue, dass sie die richtigen von zwanzig bis hundert fällen werden. Ich habe alle meine Erziehungsziele erreicht – außer vielleicht, die beiden zu Lesern zu machen. Und inzwischen sind es oft sie, die mich in den Arm nehmen oder mir ein Glas Whisky bringen, wenn ich es brauche. Mehr Glück geht kaum.
SCHAUSPIELERIN VERONICA FERRES
… über das Glück
Glück ist die Freude am eigenen Leben. Unbefangenheit, Leichtigkeit, Begegnungen mit aufregenden Menschen, ein Ausritt im Englischen Garten mit meiner Tochter, der Duft des selbst gebackenen Apfelkuchens.
Glück ist im
Weitere Kostenlose Bücher