Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens
Bedürfnislosigkeit haben nicht nur Religionen wie der Buddhismus im Visier – auch Mediziner
bescheinigen ihm mittlerweile einen starken gesundheitsfördernden Effekt.
Auf welche Weise nun ausgerechnet Disziplin dazu führt, dass größere Mengen an Zufriedenheitshormonen im Gehirn kursieren, ist noch nicht geklärt. »Da ist noch viel Forschungsarbeit zu leisten«, berichtet Friedman. Dass diese Zusammenhänge jedoch existieren, steht inzwischen fest. So konnte man im Labor zeigen, dass nicht nur die Stimmung nach unten sackt, wenn man dem Gehirn aktives Serotonin entzieht. »Auch die Impulsivität nimmt deutlich zu«, betont Friedman. Und Impulsivität, also das unstete, durch äußere Reize leicht manipulierbare Denken und Handeln ist ziemlich genau das Gegenteil von Disziplin. Ein Umstand, den auch die alltägliche Erfahrung lehrt. So kann sich wohl jeder daran erinnern, wie schwer ihm ein konzentriertes Lernen und Arbeiten fiel, wenn er sich im Zustand des frischen oder auch unglücklichen Verliebtseins befand. Denn diese Zustände drücken den aktiven Serotoninlevel im Hirn nach unten. Fährt man nun diesen Pegel wieder hinauf – etwa durch ein Beenden der Liaison oder auch pharmazeutisch, durch ein Antidepressivum –, verschwindet die Impulsivität, und mit unserer Lern- und Konzentrationsfähigkeit geht es wieder steil bergauf.
Jetzt könnte man natürlich auf die Idee kommen, unser Gehirn einfach mit Serotonin zu fluten, und schon kehren wieder Disziplin, Beständigkeit, gute Laune und damit auch die Perspektiven für ein langes Leben zurück. Entsprechende Medikamente gibt es ja schon, etwa die sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer aus dem Bereich der Antidepressiva. Sie hindern das Hormon am Versickern in den Tiefen des Hirns, sodass es an den maßgeblichen Neuronenverbindungen aktiv bleiben kann. Doch man sollte nicht zuviel davon erwarten. Wenn man nämlich das aktive Serotonin im Hirn anhebt, kann das zwar dem einen oder anderen depressiven Patienten auf die Beine helfen, doch ob das auch die Stimmung und Psychohygiene eines gesunden Menschen stabilisiert, ist keinesfalls
sicher. Außerdem haben die entsprechenden Arzneimittel ziemlich starke Nebenwirkungen, wie etwa Darm- und Magenblutungen sowie Schlafstörungen und Impotenz.
Besser also, man geht umgekehrt vor, indem man den Serotoninspiegel über den Weg der Disziplin anhebt. Außerdem bietet dieser Weg den Vorteil, dass man auf ihm noch andere Merkmale entwickeln kann, die das Leben verlängern. Denn disziplinierte Menschen zeichnen sich in der Regel auch dadurch aus, dass sie sich nicht von Schicksals- und Rückschlägen irritieren oder gar zurückwerfen lassen, sondern trotzdem weiter machen. Diese Krisenfestigkeit und Fähigkeit zum »Trotzdem« trägt auf ganz eigene Weise zu einem langen Leben bei.
Stehaufmännchen leben länger: Die Kraft der Resilienz
Eigentlich wollte Juliane Koepcke den Heiligabend 1971 zusammen mit ihren Eltern verbringen. Zusammen mit ihrer Mutter hatte die 17-Jährige ein Flugzeug von Lima genommen, das sie zur Forschungsstation ihres Vaters in den peruanischen Anden bringen sollte. Doch die Turboprop-Maschine kam in ein Gewitter und stürzte aus 3000 Metern Höhe in den Dschungel. Niemand überlebte, außer Juliane. Als sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachte, lag sie in einem Meer aus Trümmern. »Neben mir«, so schildert sie es 40 Jahre später, »sah ich drei Tote auf einer Sitzbank, die senkrecht in den Boden gerammt war.« Sie selbst war mit dem Leben davon gekommen, hatte jedoch einen Schlüsselbeinbruch, einen Kreuzbandriss im Knie und eine Gehirnerschütterung, die für heftige Schwindelanfälle sorgte. Ihre Brille war zerstört, sodass sie wegen ihrer starken Kurzsichtigkeit nur schlecht sehen konnte.
Nach einer kurzen Weile stand sie auf, um nach ihrer Mutter zu suchen. Nichts. Juliane war allein. Sie hörte zwar die Motoren der Suchflugzeuge über ihr, doch sie wusste, dass man sie unmöglich finden konnte. Zu tief unten steckte sie in der grünen Hölle, und das Flugzeug war beim Sturz in zu viele Einzelteile zerfallen, als dass man die Absturzstelle auch nur erahnen konnte. Dann hörte Juliane das Gurgeln eines Baches. Von ihrem Vater hatte sie gelernt, dass man, sofern man sich im Urwald verirrt hätte, immer den Wasserläufen folgen sollte. Denn die kleineren münden in immer größere, bis man am Ende möglicherweise zu einem Fluss kommt, an dem sich Menschen niedergelassen haben.
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