Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens
andere so etwas nicht einmal eine Stunde aushalten. Ganz zu schweigen davon, dass die Betroffenen in der Regel die letzten sind, die merken, dass sie neurotisch geworden sind – denn sonst würden sie ja etwas dagegen tun. Wie können wir also erkennen, ob aus der gesunden Routine bereits eine krankhafte Neurose geworden ist?
Ein Weg besteht sicherlich darin, dass wir auf die Äußerungen unserer Familie, Arbeitskollegen und Freunde achten. Wenn die sich durch unsere Angewohnheiten irritiert oder sogar verängstigt fühlen, sollten wir unser eigenes Verhalten näher überprüfen. Kann ja sein, dass sie Recht haben und wir in Richtung Neurose abgedriftet sind. Aber generell sollten wir uns auch eine gewisse Toleranzschwelle für unsere Gewohnheiten gönnen. Denn Studien zeigen, dass es im Hinblick auf die Lebenserwartung besser ist, wenn diese ein wenig über- statt unterdosiert werden.
Nach einer Untersuchung des National Institute on Aging im amerikanischen Baltimore wirkt nämlich ein moderater Neurotizismus ähnlich lebensverlängernd wie soziale Verträglichkeit.
Beide senkten bei betagten Männern und Frauen in einem Fünf-Jahres-Zeitraum die Sterbequote um 21 Prozent. Mit einer kleinen Portion neurotischer Sturheit kommt man also genauso weit wie mit einer großen Portion sozialen Miteinanders; wer mit seinen Angewohnheiten immer wieder seine Mitmenschen irritiert oder verärgert, wird vermutlich genauso alt wie jemand, der mit seinen Mitmenschen bestens klar kommt.
Fazit: Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie mal wieder auf einer Party im Abseits stehen! Auch wenn sie den ganzen Tag niemand anruft und Sie schon im Supermarkt freiwillig die längste Kassenschlange aufsuchen, weil Sie sonst keine körperliche Nähe mehr abbekommen, sollte Sie das nicht grämen. Denn wenn Sie stattdessen Ihre Unterhosen bügeln, immer den rechten Schuh zuerst anziehen oder im Zug generell nur in Fahrtrichtung sitzen und am besten noch konsequent Ihre Geburtstage ignorieren und verschweigen, dann haben Sie trotzdem gute Chancen auf ein langes Leben. Einsam vielleicht, aber dafür richtig lang. Man muss sich eben beizeiten entscheiden, was einem wirklich wichtig ist.
Entscheiden statt Leiden: Zaudern ist nichts für Langlebige
Angenommen, der Wetterbericht hätte Schauerwetter vorhergesagt. Und angenommen, wir hätten uns für diesen Tag eine Aktion im Freien ausgedacht. Was tun? Wir könnten einen Schirm mitnehmen, dann wären wir für den Regen gewappnet. Aber wenn es dann nicht regnet, hätten wir ihn umsonst mitgenommen und könnten ihn schlimmstenfalls sogar irgendwo vergessen. Also besser, wir nehmen, sozusagen auf gut Glück, keinen Schirm mit. Dann könnten wir natürlich vom Regen böse überrascht werden, aber dafür müssten wir
uns nicht darüber ärgern, dass wir trotz Sonnenschein den blöden Schirm mit uns herumschleppen oder er uns irgendwo abhandenkommt. Als letzte Alternative bliebe schließlich noch, dass wir einfach zuhause bleiben und uns vor die Glotze setzen. Dann hätten wir kein Problem mit Sonne oder Regen, kein Problem mit Schirm oder Nicht-Schirm. Allerdings hätten wir dann auch kurzerhand unsere ursprünglichen Pläne gekippt, den Tag im Freien zu verbringen. Also: Was tun?
Für welche der Alternative hätten Sie sich entschieden? Für Schirm, für Nicht-Schirm oder für Zuhause-Bleiben? Und welche der genannten Alternativen hat Ihrer Meinung nach den größten lebensverlängernden Effekt? Wird man Hundert, indem man bei Schauerwetter den Schirm mitnimmt, oder erreicht man dieses Alter eher, wenn man bei Schauerwetter keinen Schirm mitnimmt? Oder ist es vielleicht sogar am besten, wenn man bei unbeständigem Wetter gleich ganz zuhause bleibt, um so nah wie möglich an die magische Methusalemgrenze zu kommen?
Die Antwort: Keine der genannten Alternativen bringt wirklich Vorteile im Hinblick auf die Lebenserwartung. Aber wenn Sie bei angesagtem Schauerwetter tatsächlich so vorgehen wie gerade beschrieben, und wenn Sie alle Handlungsoptionen bedenken und in ihrem Für und Wider abwägen, dann haben Sie ein Problem. Denn in diesem Fall gehören Sie zu den sogenannten Entscheidungsmaximierern – im Englischen »Maximizers« genannt –, und die werden in der Regel keine hundert Jahre alt.
Bis zu 20.000 Entscheidungen treffen wir täglich, so haben es Psychologen einmal ausgerechnet. Sie reichen von Banalem, wie der Frage nach dem Zucker im Kaffee und ob man lieber baden statt duschen soll,
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