Lanze und Rose
Fäden ziehen. Achtet vor allem darauf, die Wunde täglich zu reinigen. Nicht angenehm, an dieser Stelle eine Entzündung zu bekommen. Gewiss wird sich die kleine Stickerin darum kümmern«, setzte er mit einem wissenden Lächeln hinzu, das Marion bis an die Haarwurzeln erröten ließ.
Er reichte der jungen Frau die Flasche, stand auf und nahm sein Nähzeug, das er in seine Tasche steckte.
»Ich lasse Euch den Schnaps hier, damit Ihr beenden könnt, was Ihr noch nicht begonnen habt, Mistress«, sagte er mit seiner schrillen Stimme. »Ihr könnt ihn mir später zurückgeben. Kommt Ihr zurecht?«
»Ich glaube schon«, stotterte sie, ohne recht zu wissen, was sie sagte. »Danke.«
Phineas verneigte sich und strahlte über sein ganzes rundes Gnomengesicht. Dann verschwand er mit einem Mal und ließ sie mit Duncan und ihrer Verwirrung allein.
»Also?«, meinte der junge Mann und lächelte schwach.
»Also was?«
»Flickst du mir nun das Gesicht zusammen?«
»Ich weiß nicht, ob ich das schaffe … Es ist so, ich …«
Ernst sah er sie an und streckte den Arm aus, um die Nadel aus ihrem Mieder zu ziehen. »Irgendjemand muss es tun, nicht wahr? Mr. Phineas scheint heute Abend sehr beschäftigt zu sein, während du …«
Lächelnd hielt er ihr die Nadel vor die Nase. Sie schielte auf das kleine, glitzernde Instrument hinunter und nahm es dann.
»Ich habe noch nie zuvor eine Wunde genäht«, gestand sie und warf ihm einen besorgten Blick zu.
»Einmal ist immer das erste Mal.«
Der Blick der jungen Frau flatterte, und sie runzelte die goldblonden Augenbrauen.
»Vertraust du mir?«
Einen Moment lang blieb Duncan stumm. Seine Finger strichen über Marions zitternde Hand.
»Habe ich denn eine Wahl?«, versetzte er in einem Ton, der scherzhaft klingen sollte. »Außerdem… wirst du deine Arbeit sicherlich gut machen, ›kleine Stickerin‹.«
Sie presste die Lippen zusammen. Schweigend studierte sie Duncans Gesicht, der sie nicht aus den Augen ließ. Sie seufzte. Wie sollte sie das nur anstellen? Sie hatte vergessen, Mr. Phineas um Rat zu fragen, und angesichts der Stelle, an der die andere Wunde saß, hatte sie nicht gewagt, ihm bei der Arbeit zuzuschauen. Ihr braucht Euch nur vorzustellen, dass Ihr Euer schönstes Mieder flickt … Ein gepresster Laut stieg aus ihrer Kehle auf. Nun gut! Sie hatte schließlich nicht die ganze Nacht Zeit!
»Du musst den Kopf auf meine Knie legen, Macdonald. So lege ich mir nämlich auch meine Handarbeit zurecht.«
»Zu Befehl!«
Mit schmerzverzerrtem Gesicht stemmte er sich auf die Ellenbogen hoch, und Marion steckte die Beine unter ihm durch und bauschte ihren Rock zu einer Art Kissen auf, in das er sich schmiegte. Dann fuhr sie mit dem Finger zögernd an dem langen
Einschnitt entlang, um sich einen Eindruck von ihrer Aufgabe zu verschaffen.
»Und, wofür entscheidest du dich, Macdonald? Festonstich, Hexenstich oder lieber Federstich?«
Er tat, als überlege er.
»Egal! Du kennst dich damit am besten aus. Du solltest nur darauf achten, keine allzu komplizierten Muster auszuführen«, lachte er und zuckte die Achseln.
»Wie du willst.«
Sie schüttete ein wenig Schnaps auf die Nadel und auf ihre Finger und reichte ihm die Flasche.
»Das wird schon gehen… Ich werde es überleben.«
Er wandte sich leicht zur Seite, vergrub die Nase in ihrem Rock und drehte ihr seine aufgeschlitzte Wange zu. Dann schloss er die Augen. Marion betrachtete sein Profil, die kantigen Konturen seines Kiefers, der sich jetzt in angespannter Erwartung verkrampfte; sie sah seinen Adamsapfel an, der sich hob und senkte, wenn er schluckte. Doch wenn er schon nervös war, so war sie vor Entsetzen völlig erstarrt bei dem Gedanken, mit der kleinen Nadel in seine warme Haut zu stechen. Plötzlich war ihr sehr heiß.
»Ich werde ein wenig Branntwein auf die Wunde gießen, Duncan.«
»Willst du mir jetzt jede deiner Bewegungen schildern, Marion? Tu einfach, was du tun musst, damit ich es hinter mir habe!«
»Gut, einverstanden …«
Der Alkohol brannte, und er zuckte zusammen und stieß ein dumpfes Stöhnen aus. Sie spürte, wie sich unter ihrem Rock eine Hand mit eisernem Griff um ihren Knöchel legte. Sie lief ein wenig rot an. Seine Finger haben schon Schlimmeres getan, dumme Gans. Mit einem Kopfschütteln verscheuchte sie die aufrührenden Bilder, die ihr durch den Kopf huschten.
Sie sagte nichts und seufzte leise. Die Nadel drang am Rande der mit geronnenem Blut verkrusteten Wunde in die Haut
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