Lanze und Rose
Nähe seines Schlosses Meggernie hatte er einmal sechsunddreißig Männer aus Lochaber, genauer gesagt aus Keppoch und Glencoe, die bei einem Überfall festgenommen worden waren, aufhängen lassen. Zu seinem allergrößten Vergnügen schmückte dieser barbarische Chief auch regelmäßig die Bäume seines Anwesens mit Macgregors, die er verachtete und nur allzu gerne drangsalierte.
Auf Colins mörderischen Wahn waren Duldsamkeit und Mitgefühl gefolgt. Duncan der Rote hatte sich als das vollständige Gegenteil seines Vaters erwiesen. Gerade, dass er nicht so weit ging, den Räubern, die aus Lochaber kamen, sein Vieh anzubieten; doch die Macgregors, die auf seinen Ländereien lebten, konnten auf seinen Schutz zählen. Aber jeder Mensch hat auch seine Fehler. Die unheilbare Spielleidenschaft Duncans des Roten und sein Pech im Spiel hatten den Anfang vom Ende des Wohlstandes in Glenlyon bedeutet. Seinem Nachfolger und Enkel Robert Campbell, der im Alter von acht Jahren der fünfte Laird von Glenlyon geworden war, hatte er einen Berg von Schulden hinterlassen.
Wie alle Edelmänner aus den Highlands hatte Robert eine gute Bildung genossen, die Französisch, Latein und Mathematik umfasste, aber auch den Hass auf die Macdonalds und … die Kunst des Würfelns. Während der Jahre der erzwungenen Muße, in denen sein Onkel und Vormund die Geschicke des Clans lenkte, hatte er diese Kunstfertigkeit vervollkommnet.
Die Beschwerden aufgebrachter Gläubiger waren immer mehr geworden. So hatte Robert einen Teil seiner Ländereien an Kaufleute aus den Lowlands verpachten und einen weiteren Teil verkaufen müssen. Sein Cousin, Grey John Campbell von Breadalbane, war der einzige Mann in Schottland gewesen, der ihm noch Kredit gewährte. Und so hatte Robert munter Schuldscheine angehäuft. Breadalbane jedoch, dem durchaus klar war, dass er sein Geld nie wiedersehen würde, hatte ganz genau gewusst, was er tat, als er sich zu Roberts größtem Gläubiger machte: Er hatte ihn völlig von sich abhängig gemacht. Und so hatte Robert, als er 1684 kurz vor dem Bankrott stand, ihm schriftlich geloben müssen, kein weiteres Stück Land mehr zu verkaufen, keine Schuldverschreibungen mehr ohne Erlaubnis auszustellen und die Führung seines Gutes seinen Geldgebern zu überlassen, dem Earl of Breadalbane und dem neunten Earl of Argyle.
Aber kurz nach der Hinrichtung des Earl of Argyle im Jahre 1685 hatte der Earl of Breadalbane sich geweigert, Robert einen weiteren Kredit zu gewähren, und dieser hatte daraufhin sein
Versprechen gebrochen. Verzweifelt und blind vor Zorn hatte er den Murrays aus Atholl, die mit den Campbells verfeindet waren, sämtliche Ländereien verkauft, die ihm noch geblieben waren, mit Ausnahme des Landsitzes Chesthill, deren Besitzurkunde auf den Namen seiner Gattin lautete. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hatten die Stewarts aus Appin und die Macdonalds aus Glencoe ihm bei dem schrecklichen Überfall, den sie nach der Schlacht von Killiecrankie unternommen hatten, noch alle persönlichen Besitztümer geraubt, die ein wenig Wert gehabt hatten.
Vollständig ruiniert und vernichtet, hatte der »alte Verrückte«, wie Breadalbane ihn gern zu nennen pflegte, seinen Zorn und seine Scham im Whisky ertränkt und beim Spiel Vergessen gesucht. Mehrmals hatte er sich widerwillig darauf einlassen müssen, Überfälle in Strathfillan zu verüben, damit seine Kinder nicht verhungerten. Und schließlich hatte Robert Campbell, um seine Familie zu unterhalten, den Rang eines Captains im Infanterieregiment von Argyle angenommen… Am 13. Februar 1692 war er mit seinen Soldaten im Tal von Glencoe einquartiert gewesen und hatte im Namen des Königs das schreckliche Massaker befehligen müssen.
Ausdruckslosen Blickes betrachtete Marion den Mann, der eines Tages der siebte Laird von Glenlyon sein würde. Ihr Bruder hatte seinen Whisky ausgetrunken und schickte sich an, sich ein drittes Glas einzuschenken, als Robs Stimme das Schweigen brach.
»Wo befindet sich das Dokument?«
Rob war es nicht gewöhnt, um den heißen Brei herumzureden. Stumm vor Angst sah John ihn an und stellte sein Glas auf den Schreibtisch. Seine Finger zitterten.
»Ich habe es nicht mehr.«
Man hätte die Luft mit einem Messer schneiden könnte. Marion umklammerte die Armlehnen ihres Sessels und grub die Fingernägel in den Stoff.
»Was hast du getan, John Campbell?«
Der junge Mann schwitzte heftig. Er wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch
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