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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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graue Färbung angenommen. Schließlich hatte er einige nichtssagende Worte der Entschuldigung gestammelt und war ins Arbeitszimmer gerannt, um sich ein dram Whisky einzuschenken, den er in einem Zug hinuntergestürzt hatte. Dann erst war ihm aufgegangen, dass er nicht allein im Raum war. Niemand hatte ein Wort gesagt, doch die Blicke sprachen für sich.
    Der Feuerschein tauchte die Mahagonitäfelung an den Wänden in ein schönes, rötliches Licht. Der Raum war mit einigen Sesseln, die auf wundersame Weise den zahlreichen Beschlagnahmungen
entronnen waren, komfortabel eingerichtet. Ein großer Schreibtisch aus Nussbaumholz thronte vor dem Fenster mit den Butzenscheiben. Eine der Scheiben war im vergangenen Sommer zerbrochen; ein Holzbrettchen ersetzte sie. Das Geld wurde für dringendere Reparaturen gebraucht.
    Über dem Kamin hing ein Gemälde, das einen Mann in einem Brustharnisch darstellte. Sein langes, schmales Gesicht, das von lockigem roten Haar umgeben war, wandte sich dem Betrachter zu. Der Mann wirkte jung und musste ungefähr fünfundzwanzig sein. Er besaß eine lange, schmale Adlernase und einen intelligenten Blick und trug ein charmantes Lächeln zur Schau. Alles in allem war er recht gutaussehend. Das Bild zeigte Marions Großvater, Robert Campbell, den fünften Laird von Glenlyon, bevor seine Spielschulden und Alkoholexzesse ihn zerrüttet hatten.
    Schon oft hatte die junge Frau vor dem Porträt dieses Großvaters gestanden, von dem sie ihr Leben lang nur Schlechtes gehört hatte. War er wirklich der Feigling gewesen, als den man ihn hinstellte, ein herzloser, übermäßig von sich selbst eingenommener Mann? Oder war er nur zum unglücklichen Opfer der Machtkämpfe geworden, in denen sich die verschiedenen Zweige der mächtigen Familie Campbell zerfleischten? Ironischerweise hatte John direkt unter dem Gemälde Stellung bezogen, vor dem Feuer, das die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas aufleuchten ließ. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Männern war frappierend.
    Einmal, vor sehr langer Zeit, hatte Marions Vater ihr die Familiengeschichte der Campbells von Glenlyon erzählt. Das war an einem Abend in dem letzten Herbst gewesen, in dem ihre Mutter noch unter ihnen geweilt hatte, kurz bevor die Pächter von den Sommerweiden zurückkehrten. Die Macdonalds hatten einen Raubzug am westlichen Ausgang des Tals unternommen. Die Kriegsschreie der Männer ihres Clans, die Alarm schlugen, hatten Marion aus dem Schlaf gerissen. Verängstigt hatte sie sich in den Salon zu ihrer Mutter geflüchtet, die sich unruhig mit ihrer Stickarbeit beschäftigte, während sie darauf wartete, dass ihr Mann heimkehrte. Natürlich war er unverrichteter
Dinge nach Hause gekommen. Er und seine Leute hatten nicht einen der Räuber fangen können, und ungefähr zwanzig Tiere fehlten.
    Als der Laird sah, dass seine Tochter nicht gleich wieder würde schlafen können, hatte er sie vor dem Kamin auf seinen Schoß gesetzt und ihr die Geschichte ihres Tales erzählt. Seine grünen Hügel erstreckten sich über fünfundzwanzig Meilen vom Loch Tay bis zum Loch Lyon, womit es das längste Tal in den Highlands war. Die Legenden erzählten, der große Krieger Fionn Mac-Cumhail habe einst dort zwölf Burgen errichtet, und seine Armee, die schon lange untergegangen war, ruhe irgendwo in den nördlichen Bergen.
    Ende des 15. Jahrhunderts hatten die Campbells von Glenorchy das Tal, das bis dahin den Stewarts von Garth gehört hatte, an sich gerissen. Archibald Campbell wurde der erste Laird. Die Erzählungen überlieferten sehr wenig über sein Leben, doch offensichtlich war er ein freundlicher, guter und gerechter Mann gewesen. Sein Sohn Duncan hatte anscheinend weder die Führungskraft noch die Weisheit seines Vaters geerbt. Man nannte ihn ironisch Dhonnachaidh Ruadh na Feileach , den Roten Duncan der Gastfreundschaft, denn er war, ganz wie Fionn MacCumhail, ein großer Baumeister gewesen. Seine Burgen bewachten die Eingänge und die Biegungen des Tals, und ihre Tore standen stets offen für umherziehende Harfenspieler aus Irland und Künstler aus allen Metiers, die aus den Lowlands kamen und zum Austausch für ihre Dienste Kost und Unterkunft erhielten.
    Der dritte Laird war »Mad Colin« gewesen, der »verrückte Colin«. Mit seinem cholerischen Charakter neigte er zu Gewaltausbrüchen, die ihm einen besonders blutrünstigen Ruf eintrugen. Jedermann fürchtete ihn, auch die eigenen Familienangehörigen. In den Hügeln in der

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