Lanze und Rose
Orléans, der seit dem Hinscheiden Ludwigs XIV. am Hof von Versailles regierte, interessierte sich nicht für Schottlands Probleme. Auch der fehlende Unternehmungsgeist des Earl of Mar spielte eine große Rolle. Es war nur noch eine Frage von Tagen, höchstens Wochen, und dann würde die Rebellion endgültig niedergeschlagen sein.
Argyle, der seine düsteren Gedanken zu erraten schien, schenkte ihm ein boshaftes Lächeln.
»Natürlich werde ich nicht weiter in Einzelheiten gehen. Wenn ich Euch militärische Geheimnisse preisgeben würde, müsste ich in der Tat fürchten, dafür geköpft zu werden.«
Mit dem Finger fuhr er unter seiner Halsbinde an seinem Hals entlang und lachte zynisch auf.
»In Eurem wie in meinem Interesse wäre es daher klug, unser kleines Gespräch zu vergessen… Man könnte die Gründe Eures Hierseins missdeuten. Und was den Kopf des Prätendenten angeht, auf den fünftausend englische Pfund gesetzt sind … Ihr wisst schon, das Geld und der Teufel geben niemals Ruhe, wie es im Sprichwort heißt.«
Obwohl ihr Unternehmen Erfolg gehabt hatte, war Duncan merkwürdigerweise nicht zum Feiern zumute. Argyles niederschmetternde, aber vollständig zutreffende Ausführungen hatten ihn wie ein kalter Guss getroffen und das Wenige an Hoffnung, das er noch im Herzen getragen hatte, zerstreut. Der Duke hatte in allem den Nagel auf den Kopf getroffen.
Bedrückt verließen sie Inveraray. Die Nacht war hereingebrochen, und bläuliches Mondlicht erhellte die verschneiten, aber noch passierbaren Straßen. Duncan, der hinter Marion durch den Wald ritt, wandte sich regelmäßig auf seinem Pferd um und vergewisserte sich, dass sie nicht verfolgt wurden. Er sah niemanden, doch er hatte ein ungutes Gefühl. Etwas sagte ihm… Dann sah er sie: Zwei Reiter durchquerten einen Lichtstrahl, der durch eine dünne Stelle in den Baumkronen einfiel. Er trieb sein Reittier an, bis er sich neben Marion befand. Dann zog er seine geladene Pistole und legte einen Finger über die Lippen der jungen Frau.
»Wir werden verfolgt«, flüsterte er ihr zu.
Ängstlich riss sie die Augen auf, drehte sich um und stieß ein Stöhnen aus.
»Du reitest voran. Wenn ich pfeife, schlägst du dich mit deinem Pferd sofort ins Unterholz. Verstanden?«
Langsam nickte sie. Duncan zog sie zu einem raschen Kuss in die Arme und schob sie dann von sich.
»Sie sind nur zu zweit«, sagte er, um sie zu beruhigen. »Mit denen werde ich schon fertig.«
»Duncan…«
»Tuch! Tu, was ich dir sage, und warte, bis ich nach dir rufe. Bis dahin bleibe in deinem Versteck.«
»Ja.«
»Los doch!«
Er versetzte ihrem Pferd einen Schlag auf die Kruppe, und das Tier trabte sofort los. Dann schätzte er die Entfernung ab, die ihn noch von den beiden Verfolgern trennte: vielleicht fünfundzwanzig Schritte, nicht mehr. Aber sie kamen näher. Er hatte keine Zeit zu verlieren.
Er ließ den Blick durch den Wald schweifen. Marions Vorsprung war groß genug. Er drang ins Unterholz ein, sprang vom Pferd und stieß einen Pfiff aus. Dann ergriff er einen langen Ast, der von einem Baum abgefallen war und halb im Schnee vergraben lag. Sein Herz begann zu rasen wie ein panisches Tier. Alarmiert durch seinen Pfiff näherten die beiden Männer sich jetzt rasch. Er hob den Ast über den Kopf und betete zu Gott, dass sein Schlag treffen würde. Zehn Schritte … Fünf Schritte …
Mit unerhörter Wucht traf der Ast den ersten Reiter, der mit einem unheimlichen Krachen vom Pferd fiel. Sein Gefährte, der ihm dichtauf folgte, zog die Zügel an. Sein Pferd bäumte sich wiehernd auf, und sein Schrei hallte durch den Wald. Duncan machte einen Schritt über den Bewusstlosen hinweg, der im Schnee lag, und trat aus dem Schatten. Er richtete die Pistole auf den Unbekannten, der unterdrückt fluchte.
»Absteigen!«, brüllte er und ging auf ihn zu.
Der Mann wollte nach seiner Pistole greifen, doch Duncan nahm die Bewegung wahr und schoss über seinen Kopf hinweg,
denn er wollte ihn nicht töten. Der andere zuckte zusammen. Duncan nutzte das Überraschungsmoment, um sich auf ihn zu stürzen und ihn brutal vom Pferd zu reißen. Nach kurzem Kampf lag er über ihm im Schnee und setzte ihm den Dolch an die Kehle. Vor Entsetzen verdrehte der Mann die Augen.
»Warum verfolgt Ihr uns?«, schrie Duncan und packte ihn am Kragen.
»Ich … Ich muss … Ich führe nur einen Befehl aus…«
»Was für einen Befehl, und von wem?«
»Das Dokument…«
»Und wer hat diesen Befehl
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