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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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Amtmännern erzählt haben? Hatte er mich der Tat beschuldigt? Und wenn schon, für ihn war ich Joan Turnhill aus Berwick gewesen. Turner hatte vor seinem Tod keine Gelegenheit mehr gehabt, ihm meine wahre Identität zu enthüllen.
    »Das ist traurig. Colonel Turner war ein charmanter Mann. Was ist ihm zugestoßen?«
    »Ist erstochen worden«, versetzte Gordon schroff. »Die Geschichte ist ziemlich verworren. Man hat sich geweigert, mir die Einzelheiten mitzuteilen, und als Vorwand vorgebracht, man wolle der Untersuchung, die noch im Gange sei, nicht schaden.«
    Allerdings! Der Gouverneur der Festung erwacht am frühen Morgen, noch ein wenig umnebelt nach dem vergangenen Abend, und findet einen Toten in seinem Bett und die Mordwaffe in seiner Hand vor! Wahrscheinlich war die Sache vertuscht worden.
    »Man hat mir nur gesagt, es sei wahrscheinlich eine Frauengeschichte gewesen. Aber das glaube ich nicht. Dazu kannte ich George zu gut; er hat sich nicht für Halbweltdamen interessiert, die … für gewöhnlich solche Abendgesellschaften besuchen.«
    Sein forschender Blick verriet, dass er auf eine Reaktion von mir wartete. Doch ich tat ihm den Gefallen nicht.
    »Warum hat er dann an diesen Gesellschaften teilgenommen?«
    »Man lernt dort oft interessante Menschen kennen … Wichtige Männer. Und man kann äußerst nützliche Informationen sammeln.«
    Das wusste Clementine auch!
    »Hmmm… Habt Ihr ihn gut gekannt?«
    Er schlug die Augen nieder und betrachtete eine algenverkrustete und vom Salzwasser zerfressene Boje aus Kork. Trauer malte sich auf seinem Gesicht.
    »Er war mein Adoptivvater.«

    Ich verschluckte mich fast.
    »Euer Adoptivvater?«, stotterte ich verblüfft. »Das ist… traurig … Ihr tragt aber nicht seinen Namen, oder?«
    »Das liegt daran, dass eigentlich … Ach, das geht Euch nichts an.«
    »Warum hat Colonel Turner sich Eurer angenommen? Er war nicht verheiratet.«
    Er verzog die vollen Lippen und zuckte die Achseln. Ich legte den Kopf wieder an den Bootsrumpf, damit ich nicht einnickte. Der Schlaf drohte mich ein weiteres Mal zu überwältigen.
    »Ich weiß es wirklich nicht… George war mit meinem leiblichen Vater bekannt, der kurz nach meiner Geburt umgekommen ist. Aber Ihr seid müde; Ihr solltet jetzt schlafen«, sagte er und unterdrückte ein Gähnen, als wolle er unser Gespräch an diesem Punkt beenden.
    Er hockte sich vor mich hin und betrachtete mich aus halb geschlossenen Augen. Das Kerzenlicht fing sich in dem dunklen Bartschatten, der seine Wangen überzog. Dieser Blick… Einen Moment lang glaubte ich andere Züge zu sehen, die sich vor sein Gesicht schoben, doch das Bild verschwand sofort wieder und hinterließ nur ein Gefühl der Enttäuschung, da ich es nicht festhalten konnte, und ich biss die Zähne zusammen.
    »Der Prätendent wird morgen erst gegen Abend eintreffen. Wir haben noch viel Zeit, einander besser kennen zu lernen.«
    Seine Hand näherte sich meiner Wange und blieb in der Luft hängen, als ich zurückwich.
    »Hmmm… Ja.«
    Er verließ den Schuppen und ließ die Tür hinter sich offen. Die salzgeschwängerte Brise fuhr in die Hütte, löschte die Kerze und ließ mich vor Kälte erzittern. Ich saß im Dunklen. Dann, nach und nach, konnte ich im Mondschein wieder sehen. Ich vermochte Morpheus’ Ruf nicht länger zu widerstehen und schloss die Augen. Vage nahm ich noch wahr, wie mir jemand etwas Weiches über die Schultern legte, und dann versank ich im Nichts.

    Das unaufhörliche Rauschen der Wogen klang mir in den Ohren wie ein langgezogenes Klagelied. Ich wollte mich auf den Rücken
legen, doch da spürte ich die Fesseln an meinen Handgelenken, die mich festhielten. Mit einem Mal wusste ich wieder, wo – und bei wem – ich war. Ich schlug die Augen auf. Durch die zahlreichen Lücken zwischen den Brettern drang helles Tageslicht in die Hütte. Gordon war fort.
    Ich bewegte meine ertaubten Finger und schluckte. Mein Magen knurrte, und ich war schrecklich durstig. Wo steckte Gordon nur? Ich ließ den Blick durch den Schuppen schweifen; ich musste mich erleichtern, doch die Schnur, mit der ich an das Boot gefesselt war, ließ mir nur ein paar Schritte Bewegungsfreiheit, so dass ich gerade noch die Tür streifen konnte. Sehr gewitzt, der junge Mann. Ich verrichtete mein Bedürfnis hinter der Schaluppe und setze mich dann wieder auf die Wolldecke, die mein Entführer über mich geworfen hatte.
    Nach der kalten Nacht fühlte mein Körper sich steif und ein wenig taub

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