Lanze und Rose
hatte.
»Lebt Euer Bruder eigentlich noch in Edinburgh?«, meldete er sich plötzlich hinter mir zu Wort.
Ich fuhr zusammen und drehte mich langsam um. Meine verkrampften Finger krallten sich in den schwarzen Samt meines Capes.
»Ja«, antwortete ich einfach und schützte ein Gähnen vor.
Er setzte ein Lächeln auf, das seine Meinung über meinen ungeschickten Versuch verriet, mich einem Gespräch zu entziehen.
»Und Euer Vater?«
»Mein Vater ist tot.«
»Ach. Seit wann?«
»Seit zwei Jahren«, gab ich zurück, wobei ich sorgfältig seinem forschenden Blick auswich.
»Das tut mir leid, Madam …«, sagte er nach kurzem Schweigen.
Clementine legte mir sanft die Hand auf den Arm.
»Ist schon gut.«
Sie küsste mich auf die Wangen und zog mich an sich. Ihre Lippen streiften mein Ohrläppchen.
»Vergesst nicht: Wenn es nicht gut läuft, dann schreit. Timothy Arthur wird nicht weit sein.«
Ich drückte ihren Arm, um ihr zu bedeuten, dass ich verstanden hatte. Mit einem angenehmen Rascheln von Seide und Spitzen verließ sie mich, um zu ihren Gästen zurückzukehren. Turner trat auf mich zu. Mit vorgetäuschter Gelassenheit hielt ich seinem Blick stand.
»Und welchen Bruder habt Ihr nun genau besucht? Den Trunkenbold? Wie hieß er noch…? Ah! Matthew, glaube ich. Oder den anderen, den, der die Feder so geschickt zu führen versteht, Patrick?«
Er hatte sich vorgebeugt und war so nahe an mich herangerückt, dass seine Haare über meine Wangen strichen.
»Steht Patrick nicht im Dienste des Earl of Marischal? Hm …
Welche Informationen hättet Ihr wohl bei einem Dinner mit treuen Untertanen seiner Majestät, König George, sammeln können?«
Ich biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. Mein Gott, nein! Er roch angenehm nach einem Eau de Toilette, in dem ich eine Lavendelnote wahrnahm. Als ich die Lider wieder aufschlug, sah ich direkt in seine nussbraunen, von langen Wimpern gesäumten Augen.
»Welch ein Zufall, nicht wahr, dass der Gouverneur Euch nach Hause bringt! Es gibt doch kein besseres Mittel als Liebe und Alkohol, um einem Mann die Zunge zu lösen! Ich frage mich allerdings, ob Ihr heute Nacht viel erreichen werdet. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass Ihr ihn sehr lange bearbeiten müsst, um ihm etwas anderes zu entlocken als seine Säfte.«
Ich errötete heftig und versuchte die Panik, die in mir aufstieg, einzudämmen. Mit wohl bedachter Langsamkeit nahm er meine linke Hand und betrachtete den Ehering, der dort glänzte.
»Ich frage mich, was Macdonald davon hält. Weiß er, was Ihr tut? Oder ist er der Sache so treu ergeben, dass er bereit ist, ihr die Tugend seiner Frau zu opfern?«
Sein Lächeln nahm einen zweideutigen Ausdruck an. Ausgerechnet diesen Moment suchte sich Lachlan Stuart aus, um in der Eingangstür zu erscheinen. Er erstarrte, als er Turner erblickte, wohl in dem Glauben, dieser mache mir den Hof.
»Der Wagen steht bereit«, erklärte er knapp und musterte meinen Gesprächspartner ohne jeden Versuch, seine Verärgerung zu verbergen. »Mrs.Turnhill kommt mit mir. Bedaure, Colonel.«
George Turner gab meine Hand frei, die in der Luft hängenblieb. Es ist vorbei, Caitlin, jetzt wird er enthüllen, wer du bist.
»Pardon, Stuart«, sagte er mit einem schmeichlerischen Lächeln. »Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, der Lady eine gute Nacht zu wünschen … Werdet Ihr zurückkehren und noch ein Glas Cognac mit uns trinken?«
Deutlicher konnte die Anspielung nicht ausfallen. Der Gouverneur nahm meinen Arm und musterte mich mit einem gierigen Blick, bei dem Turners Lächeln noch breiter wurde.
»Ähem … Ich glaube, ich werde den Rest dieses überaus angenehmen
Abends daheim verbringen, mein Freund. Ich habe noch eine Arbeit zu beenden, die wirklich nicht bis morgen warten kann.«
»Dann sehen wir uns morgen in Eurer Schreibstube wieder. Ich werde dort mit meiner Anforderung auf Euch warten. Gute Nacht, Stuart, Mrs. … Turnhill.«
Er grüßte mich mit einem Nicken und knallte militärisch die Hacken zusammen. Dann drehte er sich um und kehrte in das Esszimmer zurück, wo soeben eine witzige Bemerkung mit anzüglichem Gelächter quittiert wurde. Mein Herz klopfte so heftig in meiner Brust, dass ich meinte, es müsse zerspringen.
»Ihr seid so blass, meine Teure … Kommt, lasst Euch einen kleinen Stärkungstrunk anbieten.«
Ich begegnete meinem Bild im Ankleidespiegel und verhielt einen Moment. Mein Haar, schwarz und schimmernd wie das Federkleid
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