Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
in der Lagune glitten die Gondeln im Gegenlicht der untergehenden Sonne wie Scherenschnittfiguren aus einem Schattentheater über türkisfarbenes Wasser. Die Gondolieri erinnerten Kristina an Ritter, die ihre schlanken schwarzen Pferde mit edel gebeugten Hälsen über das Wasser lenkten.
Luca hatte kein Auge für diese Schönheit, er breitete schon die Ausdrucke auf der Steinbank unter den Arkaden des Palastes aus. Die Schlangenkarte von Venedig hatte er vergrößert. Jetzt sah man sogar die Einzelheiten, jede Schuppe, jede Schlange. Sogar Nonnas Palazzo war abgebildet. Dreizehn Schlangen bildeten dort eine Art Kranz, die Schwanzspitzen wiesen alle dorthin, wo sich heute die Treppe in der Hotelrezeption befand.
Luca warf einen Seitenblick auf Pippa, aber die war völlig versunken darin, mit einem Buntstift einen dieser kopierten Stadtpläne auszumalen. Er beugte sich vor und sagte so leise, dass seine Cousine es nicht hören konnte: »Auf der zweiten Liste sind die Namen von Kindern vermerkt. Die Zahlen daneben sind Geldbeträge. Violetta hat nämlich ein Waisenhaus gegründet – später wurde es dann ein Hospital für Kinder, die bei der Pestepidemie krank geworden waren.«
»Dann stimmt das also wirklich mit den Pestkindern?«
Luca nickte. »1355 war das Unglücksjahr der Stadt. Es gab politische Unruhen, einen Aufstand und Verrat im Dogenpalast. Die Verräter wurden gefasst.« Er deutete nach oben. »Genau über uns, auf dem großen Balkon des Dogenpalastes, sind übrigens die einzigen zwei roten Säulen des Palastes. Zwischen ihnen wurden die Todesurteile verkündet, die dann auf dem Markusplatz vollstreckt wurden. Gleich da drüben!«
Jan begann, unbehaglich auf der Steinbank hin und her zu rutschen und sich nervös umzuschauen. »Aber kaum waren die Schuldigen hingerichtet worden, brach innerhalb einer Nacht die Pest aus und wütete in der Stadt«, schloss Luca. »Und dann kam auch noch eine Riesenflut. Echtes Unglücksjahr, was?«
»Du meinst, die Donnole könnten die Kinder aus Violettas Waisenhaus gewesen sein? Das würde erklären, warum sie Violetta bis heute verehren. Weil sie versucht hat, sie zu retten.«
»Hat nur nichts genützt«, wandte Luca ein. »Gestorben sind sie ja trotzdem.«
»Donno glaubt, er sei noch am Leben.«
»Das ist bei vielen Geistern so«, erklärte Jan. »Die wissen gar nicht, dass sie gestorben sind, bleiben hier und gehen nicht in den Himmel.«
Ein seltsamer, eifriger Ernst lag in seinen Worten, so als hätte er sie sich schon oft vorgesagt. Manchmal war es schon ein bisschen beunruhigend, wie sehr sich Jan in seiner Geisterwissenschaft verlieren konnte.
»Wie habt ihr das alles so schnell rausgekriegt?«, fragte Kristina.
»Ich kenne die Bibliothekarin. Ab und zu arbeite ich dort bei Veranstaltungen. Ich habe ihr gesagt, ich brauche die Sachen für ein Referat über das Jahr 1355. Aber das eigentlich Tolle, was wir gefunden haben, ist das hier!« Er zog einen Ausdruck hervor. »Die Lieferliste eines Apothekers, der seinen Laden in der Calle del Spezier auf dem Campo Santo Stefano hatte. Er hat ein paar Dinge an Violetta geliefert. Und weißt du, was eure Dogaressa bei ihm bestellt hat? Vipernfleisch und ein Stück magisches Horn vom Einhorn. Interessant, was es damals in den Apotheken zu kaufen gab, oder? Vipernfleisch galt damals als Zaubermittel gegen Krankheiten aller Art. Steht jedenfalls im Lexikon.«
Kristina war beeindruckt. Luca legte sich ja wirklich ins Zeug, und alles wegen Pippa?
»Wahnsinn! Sie hat also tatsächlich Zaubertränke gemischt?«
Luca schob ihr die Mappe mit den Kopien zu. »Sieht ganz so aus.« Er sprang auf und rieb sich fröstelnd die Arme. »So, jetzt muss ich Pippa nach Hause zu meiner Mutter bringen und dann zur Arbeit. Mit den Spaghetti wird es heute leider nichts. Brauchst du die Blumen eigentlich?«
»Nein, warum?«
»Grazie!« Luca schnappte sich den Strauß. »Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Bestimmt können wir die Hilfe der Bibliothekarin noch einmal brauchen.« Er griff in seine Jackentasche und zog ein völlig zerkratztes Handy hervor. »Hier, für euch. Aus dem Fundbüro des Museums geliehen. Der Tourist, dem es mal gehört hat, holt es sicher nicht mehr ab. Auf der Karte sind noch zwei Euro und meine Handynummer habe ich eingespeichert.«
Die dreizehnte Stunde
KRISTINA ERWACHTE SO SCHNELL , als wären Schlafen und Wachen zwei Zimmer mit einer Verbindungstür, deren Schwelle sie mit einem Satz
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