Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
gestoßen und SIE hatte ihm die Gondel genommen. Aber noch war er hier, noch hatte das Böse ihn nicht entdeckt, zu gut verbarg er sich und lauschte auf jede Welle.
Tag und Nacht nahm er nur als Wechsel zwischen Dunkel und Hell wahr. Und manchmal duckte er sich, wenn knochige Schuppen seine Hand streiften oder Schlickleute tastend an seiner Maske zerrten. Doch in dieser Nacht war es anders als sonst. Sogar im Wasser spürte er die Erschütterung. Lichter explodierten über ihm, und er konnte spüren, wie die Eichenpfähle, auf denen die Häuser am Kanal gebaut waren, bis in die Grundfesten mitschwangen. Der Dunkle drehte sich auf den Rücken. Über ihm waberte die schimmernde Quecksilberhaut der Wasseroberfläche. Die Unterseiten der Boote ähnelten trägen schwarzen Walen und wie ferne Traumbilder erblühten dort oben leuchtende farbige Lichter. Ein Boot trieb genau über ihm, keine Gondel, sondern ein kleineres Gefährt. Ein langer Riemen streckte sich weit nach unten, um sich am Grund abzustoßen. Es war gefährlich für ihn, aber er musste es wagen und die Zeit nutzen, in der er unbeobachtet war. Der Dunkle erhob sich am Grund des Canal Grande und ergriff den Riemen. Der Kometenschweif einer Schlammwolke folgte ihm, während er sich Hand über Hand am Holz hochzog und nach dem glänzenden Rand des Boots griff. Der Mann, der eben noch irritiert versucht hatte, den Riemen wieder aus dem Wasser zu ziehen, verlor das Gleichgewicht, als das Holz plötzlich wieder frei war, und wäre fast gestürzt. Er war alt, trug dicke Kleidung und eine wollene Mütze wie ein Fischer. Als er den Dunklen erblickte, der sich an seinem Boot festklammerte wie ein Schiffbrüchiger an einer Planke, stieß er einen Schrei aus und stürzte zu ihm. »Heilige Maria, sind Sie in den Kanal gefallen, Signore?«
Der Dunkle gab keine Antwort, er nickte nur und kroch weiter auf das Boot. Lichtkränze zerstoben über ihm am Himmel in bunten Sternenregen, es krachte und knallte und irgendwo erklang Musik.
»Das traditionelle Neujahrsbad findet doch auf dem Lido statt«, plapperte der Mann weiter. »Und warum sind Sie denn maskiert? Üben Sie schon für den Karneval?« Er lachte rau und gutmütig über seinen eigenen Scherz. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen!« Der Mann packte mit seinen Fäustlingen zu und zog den Dunklen ins Boot. Dann stolperte er zurück. Ein Eishauch drang aus seinem Mund. Er begann, mit den Zähnen zu klappern. »Sie sind ja kalt wie ein Toter, Signore!«, murmelte er benommen. »Ich bringe Sie zum Krankenhaus.«
Der Dunkle richtete sich auf und nahm ohne Hast seine Maske ab. »Das«, sagte er leise, »glaube ich nicht.«
Laqua
DIE ERSTEN GÄSTE trafen gleich nach Silvester ein. Cesare und Sara erwarteten sie in neuen Hoteluniformen an der Rezeption. Sara versuchte vergeblich, sich nicht anmerken zu lassen, wie aufgeregt sie war. Sie verhaspelte sich und ständig fiel ihr etwas herunter. Es wurde nicht besser dadurch, dass Nonna alle zwanzig Minuten anrief. »Ja, das Hotel steht immer noch«, antwortete Sara jedes Mal ungeduldig. Die alte Dame hatte sich nur widerwillig damit abgefunden, dass ihre Enkelin das Hotel führte und die Kinder immer noch da waren. Und sooft Kristina sie auch besuchte und ihr versicherte, dass ihnen nichts geschehen würde, Nonna war da ganz anderer Meinung. Als Cesare sich verplapperte und erzählte, dass Luca und Pippa inzwischen fast zum Inventar des Hotels gehörten, war es mit Nonnas Seelenfrieden endgültig vorbei. »Pezzis in meinem Haus!«, regte sie sich auf. »Dann hättet ihr es lieber verkaufen sollen.«
Kristina hütete sich zu erwähnen, dass sie und Jan inzwischen auch bei den Pezzis ein und aus gingen. Lucas Mutter hatte sie mit offenen Armen empfangen. Sie war eine kleine Frau mit sanftem Gesicht, das immer ein wenig müde aussah. Schon bei ihrem ersten Besuch hatte sie Jan besonders ins Herz geschlossen, und sie lachte viel mit ihm, auch wenn es für die Pezzis immer weniger zu lachen gab. Die Suche nach einer neuen Wohnung war erfolglos gewesen. Innerhalb von einer Woche versagte der Boiler, und eine Banküberweisung ging aus unerfindlichen Gründen verloren, weshalb den Pezzis plötzlich der Strom abgestellt wurde, und obwohl es keinen Grund dafür gab, fielen die Schindeln vom Dach, und es regnete ins Dachgeschoss. »Das war eben wieder mal Pech«, sagte Lucas Mutter nur ergeben und seufzte. Aber Kristina kam es so vor, als würde sie in diesen Tagen die unsichtbaren
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