Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
konnte sie euch nicht nehmen.«
Luca erwiderte nichts, er stand nur da und starrte auf das Wasser hinaus zu den fernen Lichtern der Insel Burano. Nicht weit vom Ufer der Fortunato-Insel spiegelte sich der fast noch volle Mond auf dem schwarzen Wasser, das heute so glatt wie ein Seidentuch war. Komisch nur, dass das Spiegelbild des Mondes bei genauerer Betrachtung unter Wasser zu liegen schien. Und noch komischer, dass es sogar zwei Spiegelbilder waren, etwa fünf Meter voneinander entfernt. Kristina musste bei dem gelblichen Leuchten an Laternen auf Sankt-Martin-Umzügen denken. Allerdings würde keine Laterne der Welt so tief unter Wasser brennen.
»Siehst du das auch?«, fragte sie leise.
»Ja.« Luca klang überhaupt nicht mehr selbstsicher.
Das Leuchten erlosch und ging wieder an, als würde etwas … blinzeln? Luca schnappte nach Luft. »Das sind Augen! Das Ding beobachtet uns aus dem Wasser heraus!« Wie als Antwort durchschnitt etwas Spitzes wie eine knochige Messerschneide die Wasseroberfläche und tauchte wieder ab.
»Weg hier!« Luca packte Kristinas Handgelenk und riss sie mit sich.
Sie stolperten über Buschwerk und stießen sich die Zehen an Steinen, aber sie jagten weiter, als wäre der Doge persönlich hinter ihnen her. Mit Seitenstechen und nach Luft schnappend erreichten sie endlich die Stelle, an der sich das Portal befand. Kristina warf über die Schulter einen letzten Blick zurück, in der bangen Erwartung, gleich etwas noch viel Schrecklicheres als Schlickleute auf sich zukriechen zu sehen. Etwas mit Krokodilszähnen. Aber nichts folgte ihnen, das Wasser war wieder ein Spiegel für die Sterne. Hastig wandte sie sich um – und prallte gleichzeitig mit Luca so heftig zurück, dass sie beide ausrutschten und rücklings im Gras landeten.
Zwei Gestalten liefen auf sie zu, ohne sie zu bemerken.
Das Wasser schimmerte durch ihre flimmernden Schemen, die sanft wie das Mondlicht leuchteten. Ihr Lachen klang wie ein fernes Echo. Es war ein Mann, der wie die jüngere Ausgabe von Lucas Vater wirkte – oder wie Luca, der er in ein paar Jahren sein würde. Hochgewachsen, mit einem schmalen Gesicht und dem leicht schiefen, verschmitzten Lächeln. Der Mann hier war barfuß und hatte altertümliche Hosen an, die ihm bis zum Knie reichten – ähnlich wie Donnos. Sein schulterlanges Haar flatterte in einem Wind aus vergangener Zeit. Eine zierliche Frau mit dunklen Locken war an seiner Seite. Sie trug ein langes, einfaches Kleid und eine Muschelkette um den Hals. Kristina wagte sich nicht zu rühren, aus Angst, das Bild zu verscheuchen. Die Frau dort war Sara – und doch nicht Sara. Violetta hatte schmalere Lippen und höhere Wangenknochen. Das Paar rannte lachend noch ein paar Schritte, dann schlang die Frau die Arme um Fortunatos Hals und küsste den Fischer.
Eine ganze Weile nach ihrer Rückkehr saßen sie, nach Luft schnappend, auf der Treppe des Hotels, noch völlig außer Atem von der Flucht vor dem Ding in der Tiefe. Und mindestens ebenso atemlos von dem, was sie eben gesehen hatten.
»Ich fasse es nicht«, stieß Luca dann hervor. »Sie hat Fortunato gar nicht gehasst. Violetta und er haben sich heimlich auf der Insel getroffen! Wahrscheinlich hat sie den Gang nur aus diesem Grund geschaffen.«
Kristina nickte und rieb sich die Arme. »Und das Ding im Wasser? Glaubst du, der Doge ist immer noch da und hat …«
Luca schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Donno hat doch gesagt, dass er ohne die Gondel erledigt ist.« Es war beruhigend, dass Luca so überzeugt klang.
»Glaubst du, es war der Makaro?«, flüsterte Kristina.
Luca fröstelte sichtlich. »Keine Ahnung. Aber in Zukunft hören wir auf die Donnole und halten uns an den geheimen Orten vom Wasser fern.«
Er wollte aufstehen, aber Kristina hielt ihn zurück. »He, Luca! Wir suchen weiter! Jetzt wissen wir doch schon viel mehr über Violetta und Fortunato.«
Luca holte tief Luft und nickte. »Gut«, sagte er heiser. Und Kristina konnte nur ahnen, wie viel Überwindung es ihn kostete, hinzuzufügen: »Vielleicht hast du recht. Es gibt viele Arten von Unglück. Und die schlimmste hat die Pezzis nicht getroffen.«
Schwarze Wasser
So viele Stunden hatte er sich tief im Schlamm der Lagune verborgen, nur von Zeit zu Zeit ein Stück weiter kriechend, um dann wieder lange zu verharren, bebend vor Zorn und sich an dem bisschen Kraft labend, das er durch die Berührung IHR geraubt hatte. Seine Sklaven hatten ihm den Dolch in den Rücken
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