Lass den Teufel tanzen
dunkle Winde wehen. Wo die Leidenschaft nur noch ein Bodensatz aus Gefühlen ist und mit der Zeit so verfault, dass sie für den Menschen selbst ungenießbar geworden sind. Und wo die Angst vorbeigaloppiert wie ein gepeitschtes Pferd. Mit ihren vierzig Jahren hatte Virginia schon zu viele Menschen erlebt, die von der Angst aufgezehrt wurden. Mittlerweile wusste sie, dass denjenigen, die die Angst nicht mit Schnaps, mit körperlicher Liebe oder dem Ausüben von Macht löschen können, nur noch die Anwendung von Gewalt bleibt, um sich am Leben zu erhalten. Eine Gewalt, die, wenn sie sich entzündet, alles verzehrt, bis nichts mehr übrig ist.
An einem gewissen Punkt hatte Virginia begonnen, sich ihren Lebensunterhalt als Friseurin zu verdienen. Es war immer
ihr Traum gewesen, Frauen die Haare zu waschen, sie schöner zu machen und damit Teil jener Welt wohlhabender Damen im Dorf zu werden. Vermutlich aus schlechtem Gewissen für die Art und Weise, wie er sie tyrannisierte, hatte ihr Angelo Santo Geld dazu gegeben, erlaubte ihr allerdings nicht, ein richtiges Geschäft zu eröffnen. Zu viel Kundschaft, zu viele Augen, die sich auf sie richteten – nein, Angelo war zu eifersüchtig, um das zu unterstützen. Und so hatte sie einen privaten Salon aufgemacht, der auch für eine gewisse Zeit recht gut lief. Kundinnen gab es nicht viele, aber sie waren treu und pünktlich. Den wenigen Damen des Ortes, die sich den Luxus erlauben konnten, sich »die Haare machen zu lassen«, gefiel der Gedanke sehr, sich dank neuester Techniken, die eine Dauerwelle haltbarer machten und es ihnen erlaubten, mit den gewagtesten Färbe- und Toupiertechniken zu experimentieren, ganz im Mittelpunkt einer modernen Welt zu fühlen, die man ansonsten von ihrem kleinen Dorf aus nicht einmal mit dem Fernrohr erspähen konnte. Waren die Haare gewaschen, legte Virginia den Frauen auch die Karten, wenn sie dies wünschten. Und so hatten im Verlauf jenes magischen Rituals die frisch toupierten, ondulierten oder gebleichten Damen das Gefühl, wie an Bord einer wundersamen Zeitmaschine in eine andere Dimension zu reisen, in jene Urzeit der Welt, in der es nicht unverzichtbar war zu wissen, es jedoch genügte, zu glauben. Wenn sie ihnen aus den Tarotkarten las, schenkte ihnen Virginia das Gefühl, zugleich zu wissen und zu glauben. An einem einzigen Nachmittag ein doppelter Sprung in die archaische und in die moderne Welt. Natürlich wäre keine der Damen dazu in der Lage gewesen, sich einen solchen Gedanken bewusst zu
machen oder gar in Worte zu fassen. Vielmehr beschränkten sie sich bei den kurzen und von Späßen aufgelockerten Verabschiedungen, bevor sie wieder nach Hause zurückkehrten, darauf, den angenehmen Charakter des gerade Erlebten mit so vagen Worten zu umschreiben wie: »Die ist wirklich gut, diese Virginia, frisieren kann sie.« Nur einmal hatte die Signora Siani, die schon damals mit dem Mann verheiratet war, der einige Jahre später der Bürgermeister von Mangiamuso werden sollte, und eine ihrer besten Kundinnen war, in einem unerwarteten Ausbruch von Lebhaftigkeit gesagt: »Ich weiß nicht, aber im Haus dieser Frau, die so viel von den Dingen versteht und weiß, die so … ja, wissend ist, fühlt man sich wie in einer anderen Welt. Diese Friseurin ist wirklich eine Wissende. « Niemand hatte dazu laut etwas gesagt, doch jede von ihnen bewegte den Gedanken in ihrem Herzen, dass die Friseurin wohl tatsächlich eine Wissende, eine Sapúta , war.
Es war das erste Mal, dass jener Beiname über Virginias Leben hinweggeflattert war wie ein Vogel, der Unglück bringt.
Und so war auch das Glück jener ersten Zeit nicht von Dauer. Von jenem Moment an begann der Name Virginia in der Vorstellungskraft des Dorfes zu verblassen und aus den Gesprächen auf der Piazza und dem sie betreffenden Klatsch zu verschwinden, um immer nachdrücklicher durch den Beinamen Sapúta ersetzt zu werden, der allen zunehmend passender und zutreffender zu sein schien. Im Lauf der Zeit hatten die Gemeinheiten und die Brutalität, denen Angelo sie unterwarf, jenes Leben am Rand der Gesellschaft, zu dem er sie gezwungen hatte, indem er sich weigerte, ihre
Beziehung offiziell zu machen, zusammen mit den Jahren, die indessen ihren Tribut an ihre Schönheit forderten, dazu beigetragen, tief in ihr drinnen ein großes, schwarzes Loch zu graben. Und sie hatte versucht, es zu füllen, jenes Loch, zwischen all dem Shampoonieren, dem Ausspülen und dem Lackieren von Fingernägeln,
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