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Lass den Teufel tanzen

Lass den Teufel tanzen

Titel: Lass den Teufel tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa De Sio
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besessen um sich zu schlagen, sich zu winden und auf dem Boden zu wälzen. Das taten sie deshalb, weil der heilige Paul, oder auch »Santu Paulu«, wie man im Salento sagte, der Schutzpatron der Taranteln, der Schlangen und Skorpione war und damit auch all derjenigen, die von ihnen gebissen und von ihren bösen Säften vergiftet wurden. Somit war er sowohl der Beschützer der Vergiftenden als auch der Vergifteten. Don Filino wusste, dass der kleine Brunnen auf der Rückseite der Kapelle angeblich ein wunderheilendes Wasser spendete, dessen Genuss, so glaubte man zumindest im Dorf, vom Spinnengift befreite und die »Besessenen« wieder in ihren Alltag zurückkehren ließ. Auch war es Don Filino bekannt, dass in früheren Zeiten
sogar die Musikanten in die Kapelle gedurft hatten, um jene Tarantella zu spielen, die den Gebissenen angeblich so guttat. Dann jedoch hatte die Kirche den Musikanten den Zutritt zu dem heiligen Ort verwehrt, und so riefen fortan viele der Besessenen die Musikanten direkt zu sich nach Hause. Manchmal tanzten die von der Tarantel Gebissenen stundenlang, bis sie schließlich, vollkommen erschöpft, zu Boden sanken und sich für geheilt erklärten, das heißt, befreit von dem Gift der Spinne.
    All dieses Rütteln und Schütteln nannten die Leute Tanzen, doch in Don Filinos Augen war darin rein gar nichts von der Fröhlichkeit oder dem köstlich leichten Schwindelgefühl zu spüren, die man normalerweise empfindet, wenn man tanzt oder anderen beim Tanzen zuschaut. Nein, ihm schien es, als hätten diese Frauen die Macht über ihre eigenen Seelen aus den Händen gleiten lassen und sich stattdessen aus freien Stücken einem Gefühl der Ohnmacht ausgeliefert. So, als ob er beim Lesen der Heiligen Schrift auf einen Satz oder eine ganze Passage gestoßen wäre, die ihm ebenso faszinierend wie unentzifferbar schienen, war er doch nur mit den bescheidenen intellektuellen Mitteln eines Dorfpriesters gesegnet. In solchen Fällen kniff Don Filino die Augen zusammen, hielt das Buch ein wenig von sich weg, als hätte er aus größerer Distanz einen besseren Blick auf das Ganze, und holte tief und genüsslich Luft. Nur dann, und auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, stellte sich in ihm jener Zustand der Gnade ein, den man, so dachte Don Filino, in der Auslegung der Heiligen Schrift all die Jahrhunderte hindurch so emsig angestrebt hatte, jener Zustand, in dem der Leser sich in der ebenso wundersamen wie tragischen
Lage befindet, derjenige zu sein, der »dabei ist zu begreifen«. Und so schien es ihm einen Moment lang, dass sich dieser geschriebene Satz oder Absatz vor ihm öffnete wie ein gewaltiges Portal, durch das es ihm möglich wurde, eine ganze herrliche Basilika zu betreten. Und dort drinnen würden sich weitere geheime Universen für ihn öffnen, unvermutete Welten. Doch genau dann, wenn Don Filino das Gefühl hatte, all das Wissen und alles, was es zu verstehen gab, sei direkt vor ihm, zum Greifen und Begreifen nah, reichte manchmal nur ein Geräusch, ein Ruf von der Straße, das Bimmeln einer Fahrradglocke, und jenes Universum zerstob vor seinen Augen. Und Don Filino verlor es für immer aus dem Blick. Dennoch keimte jedes Mal in seiner Seele von Neuem die Hoffnung auf, dass es auf Erden doch noch etwas Außergewöhnliches zu begreifen gebe und früher oder später auch ihm dieses glückliche Schicksal zuteil würde.
    Am 29. Juni jedoch erinnerte ihn nichts von dem, was er auf dem kleinen Platz vor der Kapelle von San Paolo sah, an ein Buch. Er wusste, dass früher einige gebildete Priester, gewiss Jesuiten, das, was da im Salento vor sich ging, beobachtet und ihre Meinung dazu in ausgefeilten Berichten zusammengefasst hatten. Zum Beispiel erinnerte er sich, von einem gewissen Antonio Maria Mansorio gelesen zu haben, einem Adligen aus Modena und Bischof von Gravina, der bereits am Ende des sechzehnten Jahrhunderts über jenes »von der Tarantel gebissene« Apulien geschrieben hatte, und erinnerte sich auch an einige sehr alte Bilder, die er beim Besuch eines Monsignore und Freundes der Familie in Taranto gesehen hatte. Darauf waren junge Mädchen im Zustand der Entfesselung zu erkennen, in mit Spinnen besetzten
Gewändern und umgeben von einer riesigen Auswahl von Musikinstrumenten, Trommeln, Zimbeln und kleinen Gitarren, die zu ihren Füßen lagen. Don Filino, der bei jenem Besuch damals noch kurze Hosen trug, war von der Darstellung überaus beeindruckt gewesen. Und ihm war auch noch der Bericht

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