Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
symptomatisch, sondern auch für andere Gesellschaften des Westens, in denen Sexualität und Reproduktion kontinuierlich auseinanderdriften. In den USA setzten der Verkauf und die Ausleihe von Pornovideos, Live-und Kabel-TV-Sexshows, Computerporno-raphie und »Herrenmagazinen« allein 1996 mehr als acht Milliarden Dollar um, eine weitere Milliarde brachte der Telefonsex den kommerziellen Anbietern ein.167 Zwischen 16% und 18%
amerikanischer Männer gaben 1994 an, irgendwann in ihrem Leben für Sex gezahlt zu haben.168
Bemerkenswert ist, daß die beiden Zugpferde der Branche, die Prostitution und die Pornographie, ihre Umsätze trotz bestehender Werbeverbote realisieren. Während Kenner der Branche unschlüssig sind, ob die Umsätze trotz oder wegen des Werbeverbots zustande kommen, spricht für den Marktforscher Thomas Jendrosch aus den Fakten vor allem eins: ein ausgeprägtes Servicebewußtsein. »Dabei erstaunt es immer wieder«, so Jendrosch, »wie es den sexuellen Dienstleistern offenbar gelingt, emotionale Erlebniswerte zu vermitteln, die weit über die eigentlich nüchterne sexuelle Handlung hinausgehen: Freundlichkeit, Offenheit, Zuhörbereitschaft, individuelle Ansprache etc. Insofern könnte der Sexbranche sogar ein Vorbildcharakter zukommen, denn von wirklich zufriedenen Kunden sind viele seriöse Dienstleistungsunternehmen trotz aller Servicebe-
ühungen immer noch weit entfernt.« Die Sexindustrie zeichnet sich aber nicht nur durch ihre laut Expertenmeinung vorbildliche Kundenorientierung, sondern auch durch ihr »methodisches und arbeitsteiliges Vorgehen, systematische Planung, regelmäßige Marktbeobachtung, gezielte Marktsegmentierung und stetige Angebotsdifferenzierung«169 aus, mit einem Wort: durch einen Grad an Professionalität, der sich von dem anderer Branchen kaum noch unterscheidet. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Karrieremuster der Frauen: Durch geschicktes Crossmarketing kann eine Pornodarstellenn in den USA ihren Bekanntheitsgrad steigern und dabei neben ihren Filmgagen noch andere Einnahmequellen erschließen: durch Buchungen in Table -Dance-Clubs, durch Promotion der Produkte, die sie bewirbt, und den Verkauf von Devotionalien (Polaroids mit Fans, Gipsabdrücke ihrer Brust etc.). Im Windschatten von Beate Uhse haben sich aber auch immer mehr seriöse Sexdienstleister als Businessplayer auf dem deutschen Markt profiliert und gezeigt, daß kommerzieller Sex nicht zwangsläufig eine Kaderschmiede des organisierten Verbrechens ist.
Klischee Nr. 54:
Die Sexindustrie ist ein männlich kontrollierter Markt.
Die internationale Entwicklung spricht dafür, daß Frauen von diesen gesellschaftlichen Entwicklungen stärker profitieren werden als jemals zuvor. Wenn ihre Chancen steigen, Dienstleistungen oder Produkte zu Bedingungen zu vermarkten, mit denen sie einverstanden sind, dann nicht nur, weil der Geist der Emanzipation nach langem Zaudern endlich diese männerdominierte und als sexistisch verpönte Branche erreicht hat. Es ist vor allem das Internet, das sich in der Sexindustrie als veritables Instrument der Frauenförderung erwiesen hat. So waren im Jahr 2000 über 50% aller pornographischen Websites in Frauenhand, d. h. sie gehörten Frauen und wurden von ihnen kontrolliert.170 Aus den USA wird berichtet, daß sich Sexarbeiterinnen zunehmend aus der Abhängigkeit von Zuhältern, Pornoproduzenten oder Sexblattverlegern lösen, indem sie sich z. B.
als Webmistress selbständig machen und die Profite aus der Vermarktung ihrer Körper selbst kassieren. Der Psychologin Dr.
Kimberhanne Podlas zufolge wählten vor allem ehemalige Prostituierte zwischen 25 und 35 Jahren diesen Weg, darunter viele Mütter, die ihr Interesse an flexibler Heimarbeit mit einem Bedürfnis nach Kontrolle über Arbeit und Einkünfte verbinden.171 Einige Webmistresses geben einen Jahresverdienst zwischen 30000 und 40000 Pfund an, andere vergleichen sich einkommensmäßig mit Sekretärinnen oder Lehrerinnen. Die amerikanische Pornodarstellerin Danni Ashe stellte nicht nur einen Guinness-Book-Rekord als »the most downloaded woman in history« auf, sondern auch als Unternehmerin. Nur vier Jahre nachdem sie im Urlaub auf den Bahamas ein HTML-Manual durchgearbeitet hatte, setzte sie mit ihrer Website »Dannivision« weltweit 5 Millionen Pfund um.172 Die Welle der Interneterfolge setzt sich in Europa fort. Inter-climax, eins der bekanntesten Hardcore-Startups mit Sitz in Amsterdam, wurde von der
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