Lass es bloss nicht Liebe sein
selbst helfen. Ich muss ihn als vermisst melden, dazu bin ich schließlich verpflichtet.«
» Warten Sie, tun Sie nichts Unüberlegtes. Ich bin gleich bei Ihnen. Und tätigen Sie bitte keine weiteren Anrufe, okay? Warten Sie, bis ich bei Ihnen bin.«
Eine Viertelstunde später stand er bei ihr auf der Matte.
» Kommen Sie mit rauf«, sagte sie. Sie ließ ihn in den dunklen Flur und ging voraus.
Sie wollte getröstet werden, wünschte sich, er würde sie umarmen und sie beschwichtigen, dass alles gut werden würde, er schien jedoch fest entschlossen, Distanz zu wahren. Lily setzte sich auf die Couch und strich mit den Fingern nervös über die Blumen auf ihrem blassgrünen Seidenkimono.
» Was soll ich bloß tun? Ich sehe keine andere Möglichkeit, als die Polizei anzurufen. Was, wenn er… wenn er…« Ihr versagte die Stimme.
William setzte sich an den Tisch und rieb sich seine vom Bartansatz dunkel verschatteten Wangen. » Hat er das schon mal gemacht?«
» Was? Sie meinen einfach so abzuhauen?«
» Ja, ohne Erklärung zu verschwinden. Könnte da womöglich eine andere Frau im Spiel sein?«
Angesichts der Frage blickte sie ihn verblüfft an. » Wie kommen Sie denn auf so was?«
Er seufzte. » Kann es sein oder kann es nicht sein?«
» Vielleicht liegt er bewusstlos in irgendeinem Krankenhaus oder… oder am Fuß der Klippen oder so.« Sie wischte sich eine Träne von der Wange und schlug die Augen nieder.
» Was halten Sie von einer schönen Tasse Tee?«
Lily schniefte und band abwesend den Kimono fester. » Ihr verrückten Engländer denkt immer, eine Tasse Tee löst alle Probleme«, grummelte sie. Sie tappte an ihm vorbei in die Küche. » Ehrlich gesagt, bei mir funktioniert das nicht.«
» Es ist wichtig, dass wir die Polizei außen vor lassen. Ich vermute, dass sein Verschwinden entweder mit einer anderen Frau zu tun hat oder mit dem Buch– eins von beidem.«
Sie ignorierte den pfeifenden Wasserkessel, wirbelte zu ihm herum, die Hände in die Hüften gestemmt.
» Soso, Sie vermuten, dass eine andere Frau dahintersteckt? Verdammt, was erlauben Sie sich eigentlich, solche hanebüchenen Vermutungen über Robbie und mich anzustellen?«, erregte sie sich. » Für Sie ist es bloß ein Job, aber es ist zufällig mein Leben! Und Robbies.«
Er stand auf und trat einen Schritt auf sie zu, sie fuhr jedoch unbeirrt fort: » Sie würden es billigend in Kauf nehmen, wenn Robbie dabei draufgeht, bloß um dieses blöde Buch wiederzukriegen. Dann würden Sie Ihren Scheck einsacken und wieder abschwirren. Wissen Sie was? Unsere Beziehung geht Sie einen feuchten Dreck an!«
Sie lief durch den Wohnraum ins Schlafzimmer. Knallte die Tür hinter sich zu, warf sich auf das Bett und schluchzte aufgelöst in die Kissen.
William stand in der Küche und starrte auf die geschlossene Schlafzimmertür. Ihre Nerven waren mit ihr durchgegangen, und daran war er nicht ganz unschuldig. Er vernahm ihr ersticktes Schluchzen. Und fuhr sich unschlüssig mit den Fingern durchs Haar. Es war bestimmt nicht seine Aufgabe, sie zu trösten. Besser wäre es, ihre Eltern oder eine gute Freundin zu benachrichtigen. Er hatte jedoch vehement darauf bestanden, dass sie niemanden in diese Geschichte mit hineinzog.
Er machte einen Schritt in Richtung Schlafzimmertür und warf einen Blick auf den Küchentisch. Ein dicker Wälzer lag aufgeschlagen auf der Tischplatte aus gelaugtem Kiefernholz. Ein Kochbuch mit Marmeladenrezepten. Er blätterte die Seite um, blickte abermals zur Tür. Robbie war ein Idiot, wenn er sich mit einer anderen einließ.
Allerdings durfte William weder davon ausgehen, dass das der Fall war, noch hätte er seine Vermutung laut äußern dürfen. In diesem Business war nichts unmöglich. Was, wenn Robbie längst tot war? Tot, weil er das verdammte Fanin-Buch auf die Seite bringen wollte. Tot, weil er fand, dass es eigentlich ihm gehörte.
Robbie war womöglich um die Ecke gebracht worden, während er, William, Gedichte auswendig lernte und Lilien bewunderte.
Sie hörte die Schlafzimmertür aufspringen. » Lily, ich möchte Ihnen noch ein bisschen was zu dem Fall erklären.«
» Verschwinden Sie, das interessiert mich nicht!«, schniefte sie in ihr Kissen. » Gehen Sie weg, verschwinden Sie endlich!«
» Ich…«
Sie drehte sich auf die Seite, ihre blonden Haare fächerten sich auf dem Kissen, ihr Gesicht tränenüberströmt. » Da gibt es kein › Ich ‹ – es ist Ihr Job, sonst nichts.« Sie funkelte ihn böse
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