Lass es bloss nicht Liebe sein
aus, geben wir ihm, was er will, und zwar subito. Wenn ich in diesem Vogelscheuchenlook erscheine, erweckt es den Anschein, als hätte ich kein Bett zu Hause und mich heute Nacht sonst wo rumgetrieben. Und dann könnten sie…«
» Könnten sie was?«
» Mich blöd anmachen.«
» Na und?«
» Ich hasse es.«
» Lass sie einfach quatschen. Du verstehst sowieso kein Wort von dem, was sie sagen.«
» So was merkt man doch. Im Übrigen hast du gerade das alles entscheidende K.-o.-Argument gebracht. Da du Italienisch kannst und ich nicht, gehst du rein.«
Er schwang seufzend die Autotür auf, und sie drückte ihm die Euros in die Hand. Auf dem Weg in die Bar sah sie ihm nach. Er sah grausig aus. Das Hemd schmutzig und fleckig, sein Gesicht mit Platzwunden übersät, seine Jeans fleckig von dem lehmigen Ackerboden. Vielleicht wäre wirklich besser sie losgezogen. Hoffentlich infizierten sich die Wunden nicht, dachte sie kopfschüttelnd.
Kurz darauf kehrte er mit zwei belegten Brötchen zurück.
Er schwang sich in den Wagen, pflanzte sich auf den Sitz und gab ihr eins.
Lily inspizierte ihren Brötchenbelag, stellte fest, dass sich der Käserand vor Altersschwäche arthritisch bog, und meinte naserümpfend: » Schau besser nicht so genau hin.« Dann biss sie hungrig hinein.
Sie startete den Wagen und bog wieder auf die Straße ein, in einer Hand das Brötchen, mit der anderen lenkte sie. Sie stellte aber bald fest, dass es unmöglich war, gleichzeitig zu lenken, zu schalten und zu essen. Also stopfte sie sich den Rest des Brötchens komplett in den Mund, was einen wahren Krümelregen auf ihren Busen zur Folge hatte. Untermalt von einem unheilverheißenden metallischen Knirschen, legte sie den dritten Gang ein und spähte zu William, in Erwartung der üblichen männlichen Kritik. Seine Lider waren geschlossen, seine Haut blass-grünlich. Das Brötchen lag unangebissen auf seinem Schoß.
Lily fuhr abermals rechts ran und stellte den Motor aus. » William?«
» Ich bin in einer Minute wieder fit«, erklärte er matt.
Sie schüttelte den Kopf. » Von wegen, du gehörst schleunigst in ein Krankenhaus.« Sie blickte sich suchend um, als hoffte sie, dass sich plötzlich aus dem Nichts ein Krankenhaus vor ihnen materialisieren würde.
» Nein, wir müssen zu Robbie, bevor sie ihn ausfindig machen.«
» Du hast ihnen nichts erzählt, oder?«
» Nein, aber…«
» Kein Aber. Dann suchen wir erst mal ein Krankenhaus für dich.«
Er nahm es kommentarlos hin. Er fühlte sich bestimmt sterbenselend, schoss es ihr durch den Kopf, sonst hätte er sich garantiert auf eine längere Diskussion eingelassen. Sie betrachtete das Navi auf dem Armaturenbrett. Dieses Ding war wie ein elektronisches Orakel, es würde ihnen den Weg zum nächst gelegenen Krankenhaus weisen. Sie nahm die Bedienungsanleitung aus dem Handschuhfach und blätterte darin herum, ließ das Fachchinesisch auf sich wirken.
Aufgewachsen in einem reinen Frauenhaushalt war Lily immer diejenige gewesen, die sich mit den Tücken technischer Objekte auseinandergesetzt hatte. Sie installierte Computerprogramme, kannte sich mit Handys aus und programmierte DVD-Player– nicht lange, und das Satelliten-Navi funktionierte einwandfrei. Sie tippte Lucca ein, und eine kleine Landkarte erschien im Display, dann Krankenhaus, woraufhin eine angenehme Stimme ihr mit einem weichen englischen Akzent den Weg schilderte.
William war ihr keine Hilfe– er döste neben ihr. Von einem plötzlichen Adrenalinschub gepusht, heizte Lily wie eine Rennfahrerin über die Piste und fand das Krankenhaus in der Nähe der mittelalterlichen Stadtmauern des historischen Kerns von Lucca. Sie fuhr auf den Parkplatz, wandte sich William zu, streichelte über seine kränklich-blasse Wange.
» Na, komm schon, Baby, wir müssen da rein und dich verarzten lassen.«
Als er nicht reagierte, bekam sie Panik.
» William!«, brüllte sie.
Er klappte die Lider auf, sie umrundete den Wagen, riss die Beifahrertür auf und half ihm beim Aussteigen. Er lehnte sich schwer auf sie, während sie den Weg zum Hauptportal zurücklegten. Von dort schickte man sie wiederum ein ganzes Stück zurück zu dem Seiteneingang mit der Notfallaufnahme. Manchmal waren die Italiener päpstlicher als der Papst: Obwohl William schlimm aussah und sich kaum auf den Beinen halten konnte, mussten die Vorschriften eingehalten werden und sie sich zu der richtigen Abteilung schleppen. Kaum betraten sie die Notambulanz, kümmerte sich
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