Lass Es Gut Sein
fünf Sinne ist und sich das Wunder des Lebens täglich vor Augen führt, statt es selbstverständlich zu nehmen, wer zugleich die Unverfügbarkeit des Lebens täglich vor Augen hat, der mag unablässig »Klage führen über den unabwendbaren Verlust« seiner Augen (Ingeborg Bachmann) – aber eben als einer, der das »Glück der Augen«, des Augen-Lichts und des Sonnen-Lichts bewusst als ein großes Geschenk wahrgenommen und ausgekostet hat – als etwas Kostbares,
weil
Vorübergehendes.
Der junge Bert Brecht hatte konstatiert: »Angesichts der Unsicherheit der Verhältnisse sitzt als letzter Gesellschafter das Nichts am Tisch«.
Und so ist Leben eine Dennoch-Existenz und ein ständiges Sich-Wundern, dass einen die Angst doch nicht auffrisst, sondern dass man ohne Grund fröhlich ist.
Ein berühmter mittelalterlicher Spruch drückt das so aus:
Ich bin, weiß nit wer
Ich komm, weiß nit woher
Ich geh, weiß nit wohin.
Mich wundert, daß ich fröhlich bin.
Jede Religion ist ein Versuch, mit der (Grund-)Angst fertigzuwerden. Glauben ist ein Grundvertrauen in der Welt der Angst, dass da eine Kraft ist, die mir gut ist. Glaube ist keine Versicherung gegen die Angst, sondern ein Bestehen in der Angst. Glaube ist Zuversicht mitten in der Gefahr.
»Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. |228| Denn ER errettet mich vom Strick des Jägers und von der verderblichen Pest. … daß du nicht erschrecken mußt vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt … Denn ER hat seinen Engeln befohlen, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen, daß sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.« (Psalm 91)
Das ist die Grundzuversicht, aus der heraus das Leben sich bestehen lässt. Und nicht von ungefähr sind die Worte des Jesus aus Nazareth in den sogenannten »Abschiedsreden« des Evangelisten Johannes so tiefgehend – und wenn man so will: seelsorgerlich.
»In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost: ich habe die Welt überwunden …« (Johannes 16,33b) »Den Frieden lasse ich euch. Meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.« (Johannes 14,27)
Da meldet sich ein in die Tiefe reichendes Grundvertrauen, ein in der Tiefe durchaus erschütterbares, aber nicht auslöschbares Grundvertrauen, das aus einer Dennoch-Haltung kommt. »Dennoch bleibe ich stets an dir« (Psalm 73, Vers 1 und 23).
Sodann schildert der Psalmbeter, der so trotzig wie getrost »Dennoch« sagt, durch welche Fährnisse des Lebens, durch wie viel Schmerz, Hohn und Spott er hindurchgehen musste und hindurchgekommen ist. Dennoch.
VI.
Die beständige Angst, die Tag- und die Nachtangst, hat den menschlichen Traum von der Unverwundbarkeit immer neu erstehen lassen. Dieser Traum ist in Menschheitsmythen vielgestaltig erzählt worden. Und er wurde im 20. Jahrhundert durch technische Perfektionierung scheinbar Realität – nämlich der Stärkste und zugleich unverwundbar zu sein. Der Staat selbst |229| erhebt »die Sicherheit« zu seinem Idol, mit aller Macht, auch Geheimmacht. »Staats-Sicherheit« wird das Sicherheit vorgaukelnde Angstwort.
Die Pax Romana – der Frieden in »Ruhe und Sicherheit« – wird durch die römischen Legionäre und durch diverse Statthalter, durch Satrapen und ihre Heloten garantiert. Heute heißt solches Gebaren »antiterroristische Koalition der Willigen«. Früher galten die Makkabäer oder germanische Stämme als »Terroristen«. Der Friede, die Sicherheit, die Angstfreiheit beruhten auf der Unverwundbarkeit der eigenen Heere. Da wird der Erfolg als Sieg über andere zum Gott. Der Sieg wird der große Rechtfertiger allen Tuns. Wer den Sieg garantiert, den (militärischen) Erfolg politisch absichert, bekommt die unbestreitbare Macht und auch die Zustimmung der Völker. Die Sicherheit (securitas) will man mit Macht schaffen, und dazu braucht man einen Sieg-Frieden, der zum Angst-Frieden für die Unterlegenen wird. So erzeugt die römische Macht Schrecken und Unsicherheit, um sich sodann als Hort des Friedens (pax romana) anzubieten und zu betätigen.
Im Blick auf die Stämme Britanniens schreibt Tacitus, dass diese »unseren Frieden fürchteten«. Der
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