Lass Es Gut Sein
unserer Zeit: nicht mehr abschalten zu können. Immer vom Lauten umgeben zu sein, die Stille nicht mehr hören zu können. Einmal nichts einschalten und ganz abschalten. Den ganzen alltäglichen Quark, den wir unablässig, angestrengt, hingebungs- oder gar sorgenvoll treten, hinter uns lassen. Wenn man immer nur anschaltet, muss man das Abschalten wieder lernen, weil man wieder lernen muss, etwas mit sich selbst anzufangen.
Sich-selbst-Begegnen und Sich-Annehmen macht innerlich reich und äußerlich stärker. Es erleichtert auch die Begegnung mit anderen und die Fähigkeit, sie ganz anzunehmen. Dazu braucht es Zeit, Zeit für die Selbstbesinnung. Dazu braucht es Ruhe, ja Stille, weil die Welt um uns so laut, so schnell, so schrill, so disparat ist.
Die Sehnsucht nach Stillesein wird listenreich übertönt, aber sie meldet sich wieder und wieder.
Wir haben im Deutschen das treffliche Wort Nach-Denken. Nachdenken braucht Zeit und Raum, es braucht die Stille. Du brauchst Rückzug, Nachdenken, Stillwerden. Dazu gehört, sich für Unbekanntes zu öffnen, Abgründe und Ängste auszuhalten. In der Stille warten, was kommt. Kommt nichts – erschrick nur! |235| Du erkennst, was du bist. Mancher hört freilich in sich hinein und hört nichts. Nichts. Mancher hört in sich hinein und ist entsetzt über das, was da in ihm hochkommt. Aber das gehört eben zur Katharsis: das Dunkle nicht verdrängen, sich dessen bewusst werden und es nicht beiseiteschieben. Solches Stillsein ist nicht einfach Schweigen, Stummsein, Verstummen. Es ist keine Reaktion auf den Befehl »Sei still!«, schon gar nicht meint es eisiges Schweigen.
Die Stille – sobald man sie auszuhalten gelernt hat – lässt etwas in uns wachsen. Sie wird zum Kraftquell und zur Quelle neuer Gedanken. Denn die Stille bereichert uns. Und der Lärm verbraucht uns. Melodien und Stimmen, einzelne Verse oder Worte, die in diese Stille hineinfallen, dringen ganz in unser Inneres vor.
»Die größte Offenbarung ist die Stille«, meinte Laotse; sie brachte ihn zu den tiefgründigen Erkenntnissen über alles Leben.
»Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein«, hat der Prophet Jesaja eingeschärft.(Jesaja 30,16) Und Martin Luther hat eben dieses Wort zu seiner Lebensmaxime gemacht.
Eintauchen in die Stille ist ein partieller Rückzug, der Klarheit bringt, der Raum zum Justieren und zur Selbstvergewisserung bietet. Gerade dem, der an allem zweifelt und an sich zu verzweifeln droht, dem, der sich in Aktivität und Engagement verausgabt hat, begegnet im Stillesein so etwas wie ein Wunder. Und gerade der, der politisch aktiv ist und bleiben will – ohne sich zu verkrümmen oder zu verbiegen –, braucht eine beständige Selbstklärung, um nicht in unfruchtbaren Aktionismus, in Zynismus, Selbsttäuschung oder Resignation zu verfallen.
Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.
|236| Dankbar leben – glücklich werden
I.
Wer dankbar sein kann für das, was er hat, wird durch eben diese Dankbarkeit reicher, ebenso wie derjenige ärmer wird, der alles, was er hat, mit dem vergleicht, was er »mehr haben« könnte, oder mit dem, was andere mehr haben.
Selbst das Schwere im Leben wird leichter ertragen, wenn man dankbar das annimmt, was das Leben trotz allem bereithält.
Klaus Mann schreibt im »Wendepunkt« über die Hungerzeit im Ersten Weltkrieg: »Man nimmt Wohlstand und Fülle nicht mehr als etwas Selbstverständliches hin, wenn man einmal erfahren hat, was es bedeutet, von einem Butterbrot wie von einer himmlischen Delikatesse zu träumen.«
Wer den ersten Blick aus dem Fenster am Morgen als etwas Beglückendes, Überraschendes, gar nicht Selbstverständliches erlebt, ist einfach reicher, genauso wie der, dem das »Guten Morgen« eines freundlich zugewandten Menschen mehr als eine Floskel ist. Wer hingegen alles bemäkelt und beklagt, wird vom Neid zerfressen, wird von »Geiz ist geil«-Sprüchen infiziert, nimmt alles mit, was er kriegen kann: die Reichen die »Absetzbarkeit« von Steuern und das steuergünstigste Parken von überflüssigem Geld, jedenfalls von dem, was man persönlich gar nicht braucht und nicht verbrauchen kann.
Bei Hartz-IV-Empfängern aber, die all ihre Intelligenz und ihre Mühe darauf richten, rauszuholen, was ihnen gesetzlich zusteht, ist man sehr schnell mit dem Vorwurf des Missbrauchs und des Schmarotzertums zur Stelle.
Reiche nehmen ihren Überfluss gemeinhin einfach hin, ohne sich
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