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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Bestreben nach Selbstbestätigung und Sinnfindung auch eine Methode der Angstbesänftigung und -umleitung.
    Und auch im Bestreben, »etwas fürs Geschichtsbuch« zu hinterlassen, meldet sich die Angst vor dem Vergessenwerden und vor der Nichtigkeit allen Strebens. Die monumentalen Grabmäler der Großen und der Gernegroßen geben davon beredtes Zeugnis.
    Hilfreich ist eine – die Wahrheit unseres Vergehens akzeptierende und Gelassenheit ausströmende – Weisheit: dass es »dem Menschen gehet wie dem Vieh: wie dies stirbt, so stirbt auch er« und »dass nichts Besseres ist, als dass der Mensch fröhlich ist in seiner Arbeit« (Prediger 3,19.22) – oder man bleibt eben allezeit im Banne seiner (monströsen) Selbsttäuschungen, die von den |221| Oberen gemeinhin mit Ewigkeitsfloskeln machtvoll garniert werden.
    In jedem Menschen meldet sich eine elementare Sehnsucht nach
Sicherheit
. Sie bleibt immer trügerisch. Unsere Angst wird zur Mutter der Vorsicht. Unser Leben heißt leben im offenen Raum. Alles ist prinzipiell unsicher und kann verlorengehen. Nichts ist wirklich vorhersehbar. Nichts ist so sicher wie die Tatsache, dass alles unsicher ist. Nichts ist so erschütterbar wie das
Vertrauen
. Nichts ist so unfassbar wie die Angst, jene Grundangst, die tiefer geht als alle konkrete Furcht vor etwas. Nichts ist so kräftigend wie eine
Gewissheit
, die um die Ungewissheit auf eine getroste Weise weiß. Dann hat man weder den verbissenen Wunsch, möglichst alt zu werden, noch die Angst vor dem Altsein. Zu solcher Haltung kommen wir viel zu selten.
    Unter welch widrigen Umständen haben frühere Generationen ein Kind – viele Kinder! – zur Welt gebracht! Warum fehlt in unserem Land so vielen jungen Leuten der Mut zu Kindern und zur Gründung einer Familie? Es dürfte nicht primär die Angst vor Hunger oder Krieg sein, sondern eher ein Sicherheitsdenken: eine – keineswegs unbegründete – Sorge, einen Karriereabsturz zu erleben, nicht mehr mitzukommen, nicht wieder in den Arbeitsprozess zurückzufinden und dann auf Hartz IV oder Sozialhilfe angewiesen zu sein. Nicht wenige mögen befürchten, sich nicht mehr »verwirklichen« zu können – stattdessen bei der Betreuung von Kindern eine »entfremdete Tätigkeit« ausüben zu müssen, die zu wenig gesellschaftliche Anerkennung erfährt. Wo bleibt die ganz natürliche Freude an Kindern – und wie viel Angst, ohne Nachkommen alt zu werden, wird da verdrängt?
    Eine Gesellschaft, der weithin der Mut zum Kind fehlt, ist krank. Eine Gesellschaft, die jungen – selbst gut ausgebildeten – Leuten massenhaft keinen Platz in der Arbeitswelt bietet oder eine dem Menschen nicht angemessene permanente »Flexibilität und Mobilität« mit Kurzzeitanstellungen – ohne jede Kontinuität und Berechenbarkeit – fordert, verspielt die eigene Zukunft. Familienpolitik ist ein Herzstück der Gesellschaftspolitik!
    |222| Das Aufziehen von Kindern ist teuer und bedarf dringend weit größerer, auch materieller Anstrengungen wie z. B. für alle garantierte Kindergartenplätze. Aber Kinder sind nicht nur ein »Kostenfaktor« bzw. ein Risiko, sondern machen reich. In der Erziehung von Kindern kommen Arbeit und Sinn auf eine ureigene Weise zueinander. Und Kinder stärken das Grundvertrauen, dass das Leben weitergeht und dass es Menschen gibt, denen es nicht gleichgültig ist, wenn du das Leben lassen musst. Wer in einer Mehrgenerationenfamilie »aufgehoben« ist, wird auch seinen Lebensängsten gegenüber tapferer, weil er damit nie ganz allein bleibt.
    IV.
    Alle menschlichen Sicherheitsmaßnahmen sind Vorkehrungen gegen unsere Angst. Sowie diverse Vorkehrungen geschaffen sind, wecken sie neue Ängste und führen zu neuen Sicherheitsvorkehrungen. Angst macht Angst.
    Eine Mauer – genannt »antifaschistischer Schutzwall« – sollte einen mit Schießbefehl nach innen abgesicherten Staat schützen, der vorgab, damit nur »den Frieden zu schützen«. Die SED-Führung war von permanenter Machtverlustangst getrieben, die sie regelmäßig veranlasste, mit diversen Ritualen der Angst (wie etwa mit schwülstigen Paraden) lachende Zustimmung oder willige Unterwerfung der BürgerInnen zu gewährleisten. Sie wusste zu gut, dass die 99,98-Prozentige Wahlbestätigung trügerisch war, und baute sich einen alle Lebensbereiche durchwirkenden Sicherheitsapparat – mit Tendenz zur Selbstzersetzung – auf. Überall »feindlich-negative Subjekte!« Die selbsternannte Vorhut der Avantgarde hielt –

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