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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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bereits seit den Tagen Lenins – alles in Angst und »auf Linie« – zuerst sich selbst. Angstbestimmter Gehorsam wandelte sich unter Abweichungs-Angst-Bedingungen nicht selten allmählich zur Überzeugung.
    Die Angst wurde zur eigentlichen Regentin im Betonstaat DDR. Vorauseilende Angst führte zu allgemeiner Anpassung. Zugleich gewährte der Ver- und Umsorgungsstaat »soziale |223| Sicherheiten« für alle, verschaffte allen Beschäftigung, förderte die kleinen Leute, den Sport und die Kultur, ließ keinen durchs Netz fallen (warf nur über einige bedrohlich das Netz oder die Schlinge) und gab eine »wissenschaftliche Weltanschauung« mit gesetzmäßig garantierter Zukunftsoption vor, wo dann alles Subjektive als zweitrangig gelten konnte. Will man dem »Klassiker« Marx, der Unfehlbarkeitsinstanz schlechthin, glauben, so gilt der Mensch als ein Gattungswesen, und demgemäß ist auch der Tod lediglich ein Sieg der Gattung über das Einzelwesen. Wozu dann noch die subjektive Angst vor dem Tod, vor der Nichtigkeit?
     
    Wie trügerische Sicherheitsversprechen taub für Realität machen, so machen geschürte Ängste hysterisch: Die Burgen brauchen den doppelten Burggraben, der Panzer braucht die doppelte Panzerung, die Kontrolle die Kontrolle der Kontrolleure. Selbst nach Siegfrieds Bad im Drachenblut bleibt eine schutzlose Stelle. Die Maginot-Linie war umgehbar und der Westwall eine Propagandaeinrichtung. SDI und NMB sind teuerste gigantische amerikanische Schutzschildillusionen. Weil alles so unsicher ist, gibt es so viele alltägliche Sicherheitsmaßnahmen: die Leitplanken, den TÜV, die Fluchtwege, die Sicherheitsdienste, die Alarmanlagen. Ist der Strick an der Schaukel dick genug, die Bremse fest genug, das Druckventil genau genug, die ärztliche Untersuchung umfassend genug?
    Gerade verstärkte Sicherheitsvorkehrungen machen verstärkte Ängste sichtbar. Das kann so tragische wie groteske Züge annehmen. So wurde Mitte der dreißiger Jahre Ernst Barlachs Haus vom bräunlichen Kleinbürger-Pöbel Güstrows nachts mit Steinen beworfen. Und da baute er sich eine Falltür vor sein Schlafgemach – als ob er sich so hätte schützen können.
    Gegen die Grundangst hilft letztlich nur eine unbegründbare und unergründbare Grundzuversicht, ein Urvertrauen, das das Selbst stärkt und eine Unbekümmertheit aufkommen lässt, die das Leben leichter und gelöster werden lässt. Aber nicht sicherer. Trotzdem kommen immer wieder technisch zu bewerkstelligende |224| Unverwundbarkeitsphantasien auf. Sie sind der Reflex auf unsere Verwundbarkeitsängste. Immer wieder will man seinem gefürchteten Gegner verheimlichen, wo die verwundbare Stelle ist, wo die Sicherheitslücke ist, wo wir in unserem Innersten leicht treffbar sind. Das gilt kollektiv und individuell. Immer wieder gibt es den Schock der Verwundbarkeit, dass sogar ein einziger Satz ins Herz trifft wie ein Messer.
    Historische Erfahrungen haben sich ins Völkergedächtnis eingegraben: Die mächtige Armada Philipps II. versank im Sturm in der Biskaya. Die Jagdbomber des siegesgewissen ägyptischen Präsidenten Nasser wurden 1967 auf dem Rollfeld zerstört, ehe ein einziges starten konnte. Und 2006 scheiterte die sieggewohnte und modernste, bestmotivierte Armee der Welt in den Bergen des Libanon bei einem unverhältnismäßigen Militärschlag. Die amerikanische Kriegsflotte in Pearl Harbor wurde in wenigen Stunden versenkt. Das einst größte und stolzeste Schiff mit dem symbolischen Namen »Titanic« zerschellte an einem Eisberg. Mathias Rust machte die ganze sowjetische Luftabwehr mit seiner Landung auf dem Roten Platz lächerlich.
     
    Ein Sprichwort sagt zwar, die Angst sei ein schlechter Ratgeber, doch die gegenseitige totale Vernichtungsangst war zuzeiten der sogenannten gegenseitigen Abschreckung zu einem »guten Ratgeber« geworden und aktivierte eine Art menschlicher Überlebensvernunft, die über Rüstungsbeschränkungsverträge und das Rote Telefon zu Abrüstungs- und atomaren Rückzugsschritten führte. Trotz scharfer Konfrontation und anhaltender gegenseitiger Angst tat man alles Menschenmögliche dafür, dass es nicht zu einer »Vernichtung aus Versehen« käme – bis gar ein angst- und waffenabbauendes Reglement nach dem Konzept »Gemeinsamer Sicherheit« gefunden wurde. Inzwischen wachsen alte Ängste neu und führen zu erneuter Rüstung, wobei die Schwellen für den Einsatz von Atomwaffen weit niedriger geworden sind.
    Die Urgewalt des Tsunami traf

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