Lass Es Gut Sein
Sieger organisiert den »Frieden« zu seinem Vorteil. Der Verlierer soll auch etwas davon haben, aber er soll gefälligst gefügig sein und gefügig bleiben.
Der Friede, den Rom bringt, ist ein Sieg-Friede für die Römer, für die Besiegten ein Unterwerfungsfriede. Die Unterschiede zwischen den Friedensvorstellungen der Römer und Griechen zeigen sich auch in bildlichen Überlieferungen. Der römische Friedensgott Pax wird mit dem Fuß im Nacken des Besiegten und mit dem Lorbeerkranz des Siegers sowie Speer, Lanze und Schild dargestellt. Die griechische Friedensgöttin Eirene dagegen schüttet aus einem Füllhorn Wohlstand und Reichtum aus.
Die Friedenspraxis der Pax Romana sah so aus, dass nach glorreichem Abschluss des Krieges mit totaler Unterwerfung die »Geschäfte des Friedens« gemacht wurden, aber immer wieder mächtiger Schrecken durch verheerende Feldzüge verbreitet wurde. Sobald Cäsar genug Schrecken verbreitet hatte, berichtet |230| Tacitus, schonte er die Unterworfenen wieder und bestach sie durch die Lockungen des Friedens. Durch solche Maßnahmen ließen die Stämme »von ihrer Erbitterung ab«.
Die Angst vor dem Terror war auf beiden kriegführenden Seiten schon immer groß. Terrere bedeutet »in Schrecken versetzen, einschüchtern und abschrecken«. Dieses Terrere üben alle
Großmächte
mehr oder weniger perfekt aus, mehr oder weniger grausam, jeweils aber mit dem Recht des Siegers.
Terroristen
sind dagegen Leute, die punktuell Angst und Schrecken verbreiten und so das Trügerische eines Sieg-Friedens verdeutlichen.
Das Christentum stellte dem von Anfang an einen anderen Friedensbegriff entgegen. Und es gab in der frühen Christenheit eine schroffe Entgegensetzung: aut Caesar – aut Christus. Entweder
Cäsar
oder
Christus
.
Das christliche Gottesverständnis als das Herabkommen des Transzendenten in das Immanente ist Widerspruch gegen die Unverwundbarkeitsideologie. Der waffenlose Zimmermannssohn stellt sich der Pax Romana gewaltlos und entschlossen in den Weg.
Gott – so die ungeheuerliche Behauptung der Christen – macht sich in Christus verwundbar. Seine Allmächtigkeits-, Unnahbarkeits- und Unberührbarkeitseigenschaft gibt er auf. Gott erscheint nicht mehr als der gefürchtete »Herr der Heerscharen«, sondern als der, dem man sich mit Urvertrauen zuwendet und ABBA – Unser Vater! – wie ein Kind lallt, singt, bittet.
Diese Selbsterniedrigung Gottes wird sichtbar in jedem hungernden Kind. In jeder geschundenen Kreatur begegnet uns der Menschensohn wieder. »Alles, was ihr diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan«, heißt es in einem der Weltgerichtsgleichnisse bei Matthäus im 24. Kapitel.
Wenn Christus zur Wunde Gottes in der Welt wird, dann ist auch der Verweis auf das Kreuz und die Theologie des Kreuzes eine Theologie der Verwundbarkeit: Der Unverwundbare macht sich verwundbar. Er wird der Mitleidende, der Mitleid mit den Verwundeten hat und inmitten der Verwundeten auftaucht.
|231| Statt der Securitas (also der Sicherheit im Blut des Drachens) wird die Certitudo (also eine Gewissheit, die in dem gründet, der sich verwundbar gezeigt hat) gesucht. Dies wird seit fast 2000 Jahren bildlich in den ausgebreiteten Händen des Gekreuzigten ausgedrückt, der segnend über seinen Peinigern schwebt, statt die geballte Faust der Rache zu erheben.
In diesem Friedensbringer aus Nazareth wird die alte Vision des Jesaja und des Micha menschliche Gestalt: »Und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Winzermessern umschmieden«. Mit dem Pflug wird die Erde umgebrochen, damit der Samen mehr Frucht trägt, und mit dem Winzermesser wird der Weinstock beschnitten, damit er bessere Reben trägt.
So ist es nur konsequent, wenn das erste Wort, das über dem verletzlichen Kind in der Krippe »vom Himmel herab« gesprochen wird, lautet: »Fürchtet euch nicht!« Zuerst hört ein Berufsstand, der traditionell ausgegrenzt wurde, den Ruf – die Hirten nämlich, die als unrein galten, da sie mit unreinen Tieren Umgang hatten.
»Fürchtet euch nicht!« ist das Wort, das der Auferstandene am Ostermorgen den erschrockenen Frauen am Grabe zuruft. Glaube ist nichts anderes als ein Aufstehen gegen die Angst.
Sie kommt täglich wieder, alles durchdringend. Und sie kann täglich gebändigt, einfach beiseite gelassen oder gar überwunden werden. Niemand übersehe, wo einer nicht aus seiner Angst herauskann, und
stehe
ihm
bei
– oder einfach nur
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