Lass Es Gut Sein
verlangte, dass ein
anderes
Spiel gespielt wird. Da meldete sich ein Pfiffiger aus dem Volk, der nicht resigniert hatte, und hielt den Regierenden listig einen Spiegel vor.
Die während der Hartz-IV-Proteste geäußerte Forderung »Wir wollen Arbeit und soziale Gerechtigkeit« war schlicht eine Einforderung des Programms, mit dem sich die SPD 1998 zur Wahl gestellt hatte. Dort hieß es doch: »Wir wollen die sozialen Gräben in unserer Gesellschaft zuschütten und die innere Einheit unseres Landes vollenden. Wir wollen Arbeit und Wohlstand für alle. Wir verstehen uns als Gemeinschaft der Solidarität der Stärkeren mit den Schwächeren.«
2004 machten die Bürger zum einen ihrem Unmut über die damals Regierenden und deren Politik Luft. Zum anderen lassen |36| sich die Montagsdemonstrationen als Zeichen dafür sehen, dass sich bei immer mehr Leuten der Eindruck durchsetzt, dass es in Deutschland ein hohes Maß an »Freiheit nach oben« gibt, aber auch die »Freiheit nach unten« groß ist. Die Angst vor der Arbeitslosigkeit hat längst die »Neue Mitte« erreicht. Es wächst auch die Sorge derer, die noch Arbeit haben, dass sie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit ganz unten sein könnten, das zum Teil mühsam Ersparte aufbrauchen müssen bzw. auf Sozialhilfe angewiesen wären. Jeder ahnt, dass es ihn morgen treffen kann. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass nicht nur jene Bürger auf die Straße gehen, die
schon
betroffen sind (und deren Resignation nicht schon so groß ist, dass sie nicht mehr protestieren!), sondern insbesondere jene, die Zukunftsängste haben.
Es artikulierte sich Zukunftsangst und Wut auf den Montagsdemonstrationen. Sie waren auch Zeichen von Optimismus und eines tiefen Glaubens an soziale Gerechtigkeit. Aus den Gesichtern der Demonstranten sprach die Überzeugung, dass sich tatsächlich etwas verändern lässt, wenn der Druck von der Straße lange genug aufrechterhalten wird. Und tatsächlich: Nachbesserungen bei Hartz IV gab es erst nach den Demonstrationen – nicht nach Artikeln, Fernsehsendungen, Thesen und Leserbriefen. Dies ist eine wichtige Erfahrung. Wenn die Leute die Vorteile der Demokratie nicht geringschätzen, das Demonstrieren – ohne Gewalt anzuwenden – als selbstverständliches Recht wahrnehmen und sicher sein können, dass sie abends wieder nach Hause kommen.
Die Massenproteste gegen Hartz IV können also durchaus Mut machen für die Zukunft. Wir müssen auch weiterhin auftreten gegen ausgrenzende Praktiken in der Arbeitsmarktpolitik und gegen ein Menschenbild, das nur noch für den Markt verwertbare oder für den Markt nutzlose Menschen kennt. Über die bei den Montagsdemonstrationen erhobene Forderung nach der Schaffung von Arbeitsplätzen müssen wir grundlegend nachdenken, denn Arbeit meist ein ganz elementares Betätigungs- und Bestätigungsbedürfnis des Menschen.
|37| Arbeit los – Brot los – Sinn los
Heute gehen in Deutschland die einen daran kaputt, dass sie zu viel arbeiten müssen, die andern daran, dass sie keine Arbeit mehr finden. Die einen haben Reichtumssorgen, die andern Armutssorgen. Diese Zweiteilung der Gesellschaft könnte zu einer neuen Klassenkampfsituation führen. Wie soll es also weitergehen, wenn wir tatsächlich am
Ende der Arbeitsgesellschaft
angelangt sind, wie es viele Wissenschaftler angesichts der seit Jahren ansteigenden Arbeitslosenzahlen prophezeien? Wir müssen grundlegend überdenken, was Arbeit für uns bedeutet.
Es gehört zu den großen emanzipatorischen Zielen der Menschheit, von der Mühsal der Arbeit, vom Sichaufbrauchen und -abrackern in »entfremdeter Arbeit«, vom »Leben fristen« endlich freizukommen und sein Menschsein entfalten zu können außerhalb der Notwendigkeiten. Durch die kapitalistische Produktionsweise ist die globalisierte Welt in folgende widersprüchliche Situation versetzt: Während es für mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung ums nackte Überleben geht, kämpfen die reichen Länder, die auf den Weltmärkten miteinander konkurrieren, mit den Folgen der erhöhten Produktivität und mit dem Überfluss an Waren. Die neuen Arbeitssklaven – hochmoderne Maschinen und Informationssysteme – haben den Menschen als Arbeitskraft immer entbehrlicher gemacht, so dass immer mehr Menschen von der Lohnarbeit freigesetzt werden. Die reichen Länder der nördlichen Halbkugel wären zwar tatsächlich so reich, dass sie diese »mit durchfüttern« und sie ihre Freiheit genießen lassen könnten. Die meisten
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