Lass Es Gut Sein
Betroffenen aber können darin keine Befreiung erkennen, sie empfinden sich vielmehr nun selbst als überflüssig, verlieren die Selbstachtung und Kontrolle über sich. Sie sind aus einem Sinngefüge herauskatapultiert worden. Der Verlust von Arbeit wird von ihnen als Lebensverlust bewertet.
Dies hängt damit zusammen, dass zum einen produktive Tätigkeit ein Grundbedürfnis des Menschen ist und zum anderen seit vielen Generationen volle gesellschaftliche Akzeptanz |38| nur derjenige findet, der arbeitet. In Ermangelung anderer Sinnstiftungen ist Arbeit zum Selbstbegründungs-Mythos unserer modernen Gesellschaft geworden, sie dient den Meisten als alleiniger Identitätsstifter und als Sinnanker schlechthin.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind wir nicht nur durch den Verlust der Arbeit bedroht, sondern vielleicht mehr noch durch das (kollektive) Vakuum, das dieser in den Betroffenen hinterlässt. Angesichts der Massenarbeitslosigkeit ist Arbeit nämlich als dominierender Sinngeber, Selbstwertbeschaffer und Gemeinschaftsproduzent überfordert. Wenn wir trotzdem daran festhalten, bewegen wir uns mit dem enormen Schwinden vergegenständlichter und Gegenstände produzierender Arbeit geradewegs in eine soziale, politische und psychologische Krise.
Wir stehen also vor einer Organisations-, Rechts-, Ökonomie-, Bildungs- und Mentalitätsfrage von epochalem Ausmaß. Wir brauchen alternative Konzepte der Sinnstiftung. Die Arbeit an uns selbst wird in diesem Zusammenhang zur entscheidenden ersten Arbeit der Zukunft werden. Ich stelle Ihnen vier Fragen:
Haben Sie (noch) Arbeit?
Und falls ja, was bedeutet sie Ihnen?
Können Sie sich ein Leben ohne Arbeit gut vorstellen?
Und falls nicht, warum?
Sie werden vielleicht antworten, dass Sie sich ein Leben ohneArbeit deshalb schwer vorstellen können, weil Ihre Arbeit Sie – und dies ist der Idealfall – nicht nur anstrengt, sondern auch ausfüllt, erfüllt. Arbeit bietet uns also die Möglichkeit der Selbstfindung, Selbstbestätigung und Sinnerfüllung, sichert Anerkennung, selbst wenn wir durch die nur an Profit orientierten Arbeitsprozesse längst von unserem Arbeitsprodukt entfremdet sind. Der Mensch möchte etwas schaffen, das bleibt, während er selber älter wird. Arbeit ist auch immer Flucht vor den Depressionen unserer Vergänglichkeit. In dem zum Wachstum gezwungenen Wirtschaftsprozess wird Viel-Wind-Machen als Leben und Stillstehen als Tod erfahren. Denken Sie daran, wie viele Pensionäre die Lust am Leben verlieren, wenn sie nicht mehr am Arbeitsprozess teilhaben |39| können. Sie haben das Gefühl, sie seien zu nichts mehr nutze. In ihrem Leben ist alles vorbei, bevor es vorbei ist. Warum ist es ihnen nicht möglich, in der Pflege des Gartens, im Verreisen oder im Da-Sein für die Familie eine ähnliche Bestätigung zu finden wie in ihrem Job? Warum können sie ihr Dasein nicht auf einen neuen Grund stellen?
Diese Frage führt zum Kern der individuellen und sozialen Probleme, die es im Angesicht des Endes der Arbeitsgesellschaft zu lösen gilt. Arbeit, Brot und Sinn scheinen einen unauflöslichen Zusammenhang abzugeben. Die Arbeitsgesellschaft lebt nämlich von einer Beherrschungs- und Unterwerfungsideologie, in der der Mensch sich erst dann die Dinge aneignet, wenn er sie sich unterworfen hat. Die Rangfolge ist in den letzten Jahrhunderten vom Sinn auf die Zwecke, vom Verstehen zum Beherrschen, vom Bestaunen zum Aneignen, vom Intensiven zum Extensiven gewechselt. Tätigkeit wird also folgerichtig nur dann zum Sinnanker schlechthin, wenn sie als zeitlich geregelte Erwerbstätigkeit unter permanentem Konkurrenzdruck stattfindet. Da ist Zeit Geld und Geld Zeit. Es ist nicht bloß das Tätig-Sein, das uns die Arbeit so wichtig werden lässt, sondern die Gratifikation, in der wir unseren Wert ausgedrückt sehen. Unser Selbstwert misst sich zumeist am Geldwert. »Arbeit um jeden Preis« ist angesichts der heutigen Problemlagen die falsche Antwort auf die Preis-Frage »WIE, WAS, WOZU, WANN, WIE LANGE arbeiten wir?« Die Gleichsetzung von produktiver Erwerbsarbeit und erfüllender Tätigkeit muss aufgehoben werden, wenn wir nicht durch kollektive Sinn-Losigkeit krank werden wollen.
Der in sich reiche Mensch
Die meisten Menschen in unserem reichen Land brauchen Arbeit, weil sie mit ihrer Lebenszeit ohne Arbeit wenig anfangen können. Immer müssen sie etwas anfangen oder es muss mit ihnen etwas angefangen werden. Außerhalb ihrer Arbeit sind sie in erster Linie
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