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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Stasiüberläufer wurden für den BND tätig. Zur Zeit des Kalten Krieges haben die Geheimdienste in Ost und West gegenseitig wichtige, gar reale Bedrohungsanalysen gefertigt und bisweilen eine akut bedrohliche Kriegsgefahr gemeldet und sie entschärft – fern aller Propaganda für die Öffentlichkeit diesseits und jenseits des »Eisernen Vorhangs«. Sie haben auch gegenseitig systemaufweichend gearbeitet. Wie haben BND und Verfassungsschutz zur Zeit des Kalten Krieges gewirkt? Wer wurde von wem angeworben und abgeschöpft? Wer war wann Spitzel für welche Zwecke?
    2005 wurde aufgedeckt, dass der BND viele Jahre lang Journalisten überwachen ließ, die kritisch über den Geheimdienst berichtet hatten wie Andreas Förster, Redakteur der
Berliner
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Zeitung
. Ein erschreckendes Ausmaß an eigenmächtigen und selbstherrlichen Gesetzesübertritten durch die Agenten aus Pullach wurde deutlich.
    Der ehemalige Stasi-Mitarbeiter und spätere BND-Zuträger Uwe Müller schilderte die Treffen in der
Berliner Zeitung
vom 17. Mai 2006 folgendermaßen: »Wir saßen drei, vier Stunden zusammen, haben gut gegessen und Witze gerissen, vor allem über Politiker. … Der Zustand der Republik hat sie [vom BND] sehr belustigt.« Also: Einmalig war die Stasi – jedenfalls in ihrer Außenspionagepraxis – nicht. Und sie war unter Markus Wolf ziemlich effektiv. Heute nennt man das »hochprofessionell«.
    Bewegte sich der Geheimdienst während des letzten Irakkrieges innerhalb unserer rechtsstaatlichen Vorgaben? Oder handelte er eigenmächtig und ohne Wissen der Regierenden? Dann hätte der Geheimdienst nach ganz eigenen Regeln gespielt, als ein Staat im Staat, entbunden von jeglicher demokratischen Kontrolle und Verantwortung. Das wäre prekär für das Vertrauen, das wir noch in unsere demokratische und freiheitliche Grundordnung setzen können. Und falls der BND im Irak doch mit dem Wissen und ganz im Sinne der Regierung zugunsten des US-Militärs agiert hat? Das wäre mindestens genauso schlimm: Denn wie sehr würde unser Vertrauen in die Politik gestört, da die Regierenden öffentlich erklärt hatten, dass sie »für Abenteuer nicht zur Verfügung stehen«.
    Wir müssen uns dringend grundlegende Gedanken darüber machen, ob unsere parlamentarischen Kontrollmechanismen noch funktionieren und wie es um die (Selbst-)Gefährdung von Menschen durch und in derartigen Institutionen steht. Den pseudokommunistischen Tschekismus des Sowjetsystems habe ich glücklicherweise hinter mir, nun erschrecken mich verbrecherische Praktiken im Namen der Freiheit, ja die dunkle Verselbständigung der Geheimdienste selbst in demokratischen Staaten – insbesondere in den USA.
    Der Weg zu Menschenzerstörung und Menschenverachtung durch Geheimdienste ist
nie
sehr weit. Es gibt immer wieder Menschen, die sich nicht im Krimi, sondern in realen dunklen |65| und verdunkelnden Tätigkeiten abreagieren und auch nachträglich kaum ein Schuldbewusstsein haben, weil sie ja von Staats wegen und wegen der »guten Sache« ihr zwielichtiges Geschäft betreiben.
    Freilich ist die Demokratie noch halbwegs intakt, solange verfassungswidrige Übergriffe öffentlich diskutiert und – sowie das Geheime ans Licht kommt – untersucht werden. Das wäre in der DDR völlig undenkbar gewesen. Trotzdem scheint mir in der Bundesrepublik zweierlei geboten:
    Das eine ist die Aufarbeitung des Wirkens des bundesrepublikanischen Geheimdienstes seit den Tagen der »Organisation Gehlen«. Sie hat eine sehr problematische NS-Vergangenheit (einschließlich der Mitarbeit von etwa 100 früheren SS-Angehörigen). Deshalb ist eine Akteneinsicht und wissenschaftliche Aufarbeitung der teilungsbedingten Tätigkeiten des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes für eine differenzierende und umfassende Sicht auf die geteilte deutsche Geschichte nach 1945 unabdingbar. Oder sollte der BND keine geheimen Zuträger in den SED-Führungsetagen gehabt haben? Neben der Birthler-Behörde mit ihrem Stasiunterlagengesetz bedürfte es eines BND-VS-Unterlagengesetzes, also einer Akteneinsichtsbehörde in BND- und Verfassungsschutzakten. Die schützenswerten Staatsgeheimnisse sowie ganz persönliche Daten mögen unberührt bleiben; aber dazu bedürfte es rechtlicher Klärungen, was als »Staatsgeheimnis« gelten muss und was aus allzu durchsichtigen Gründen verborgen gehalten wird. Kommen wir nicht zu einer solchen Ergänzung der Vergangenheitsbetrachtung unter den Bedingungen der

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