Lass Es Gut Sein
50. Und nun? Jährlich fünf Prozent Preissteigerung! Der Drang zur Börse zwingt offenbar zu gesteigerter Kundenunfreundlichkeit. Was stört das den hochdotierten Boss, der sowieso so gut wie gar nicht Bahn fährt? Die Dienstleistungen in kleinen und mittleren Bahnhöfen werden auf null heruntergefahren. Nicht nur ältere Menschen stehen etwas ratlos vor den Automaten; die Bahnhofshallen sind vielerorts nicht mehr zugänglich oder werden früh geschlossen. Eine Gepäckaufbewahrung, bei der man auch unhandliche größere Gepäckstücke abgeben kann, gibt es nur noch an wenigen großen Bahnhöfen. Selbst dort reicht die Zahl der – im Übrigen sehr teuren – Gepäckautomaten nicht aus. Es gibt für solche Art Missstände keine Ansprechpartner mehr. Die Bahn ist ein Unternehmen, bei dem einzelne Privatkunden keine Stimme haben.
Der wirtschaftliche Zusammenbruch der landeseigenen Bankgesellschaft riss Berlin seit 2001 hinab in eine dramatische Haushaltsnotlage. Unglaublich ist, wie viele Politiker in den Skandal verwickelt waren, und noch unglaublicher, wie viele Verantwortliche sich schadlos zu halten gewusst hatten! Die Berliner Bürger werden hingegen durch die Folgen auf noch unabsehbare Zeit hart belastet bleiben. Drastische Haushaltskürzungen bestimmen seit jenem Mega-Skandal die Politik. Wird die Hauptstadt je wieder aus der Verschuldung herausfinden können?
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Richard Göhner kann jahrelang neben seinem Abgeordnetenmandat Hauptgeschäftsführer |60| beim Bundesverband Deutscher Arbeitgeber (BDA) sein. Und der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Norbert Röttgen wollte ab Ende des Jahres 2006 neuer Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) werden. Er wie auch der berühmte Bierdeckel-Merz halten ihre Nebenbeschäftigungen für den Ausweis ihrer besonderen Fähigkeit, als Abgeordnete mitten im Leben zu stehen und somit persönlich unabhängig von ihren Parteien zu bleiben. Unabhängig? Gilt nicht die alte Weisheit: Wess’ Brot ich ess’, dess’ Lied ich sing’? »Monitor« hat im Oktober 2006 berichtet, dass Abgesandte der Industrie in Ministerien arbeiten und sogar an Gesetzesentwürfen mitwirken. Seither wurden weitere Fälle auf Bundes- und Länderebene aufgedeckt. Das System ist also bereits durch und durch verfilzt.
Was mochten die Arbeitslosen in Sachsen-Anhalt denken, als ihr ehemaliger Verkehrsminister, sodann einfacher Landtagsabgeordneter Jürgen Heyer sein Mandat im Dezember 2003 »wegen Überlastung« abgab? Überlastung durch seine Beratertätigkeit für die Deutsche Bahn, die er seit einem Jahr ausübte. Als Verkehrsminister von Sachsen-Anhalt hatte er im Februar 2002 noch mit Hartmut Mehdorn einen für die Bahn äußerst lukrativen Nahverkehrsvertrag abgeschlossen. Ohne Ausschreibung. Natürlich kann dieses Zusammentreffen Zufall sein. Solche Zufälle tragen jedenfalls dazu bei, dass das Vertrauen der Bürger in die politische Unabhängigkeit der Volksvertreter ruiniert wird. Die diversen, sehr gut dotierten Nebenjobs von prominenten Bundestagsabgeordneten in einer Zeit, in der die Politiker über die mageren Zuverdienstmöglichkeiten von ALG-II-Empfängern debattieren, sind schlicht zynisch. Wir müssten »nachdenken, ob dies mit den Zuverdienstmöglichkeiten so sinnvoll ist«, befand Franz Müntefering in der
Frankfurter Rundschau
vom 19. August 2006. Und im
SPIEGEL
-Interview vom 21. August 2006: »Das ALG II hat eine Form des Kombilohns geschaffen, die so nicht geplant war. Deshalb werden wir – wenn wir über den Niedriglohnsektor reden – prüfen, ob man da was verändern |61| muss.« Aber welcher Politiker prüft die Nebenverdienste von Politikern im Hoch- und Höchstlohnsektor? Wo bleibt da die Forderung nach Selbstbegrenzung? Ist alles nur ein einträgliches Spiel? Nimmt jeder, wo er kriegt, Sonderkonditionen für sich selbst an? Was hat es auf sich mit den merkwürdigen Interessenverquickungen, wenn Vorsitzende von Bundestagsausschüssen in Aufsichtsräten von Firmen sitzen, auf die Ausschussentscheidungen gravierende finanzielle Auswirkungen haben. (Grüne eifern auch dabei längst Liberalen nach!)
Wer durchschaut noch, wie stark die Lobbys der Pharma- oder Rüstungsindustrie in der parlamentarischen Gesetzgebung mitwirken?
Instinktlos, schamlos, geldgierig – so funktioniert das ganze gewinnbesessene System, in dem demokratischer Firnis auf die Herrschaft des Kapitals geschmiert wird. Das muss
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