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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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ablehnten und freie Bürger sein wollten. Den Übergang in die Demokratie, den damit verbundenen politischen Pluralismus und ökonomisch alle |68| Lebensbereiche beherrschenden Kapitalismus hat sie insgesamt nicht überlebt.
    Zu Beginn des 21. Jahrhunderts brauchen wir keinen Mythos der vergangenen Bürgerbewegung, sondern aktive, sich zu Wort meldende und eingreifende Bürgerrechtler! Denn die Fragen der Bürgerbewegung stellen sich neu, ob in Hinblick auf diverse Diktaturen oder auf das, was in Guantánamo oder Grosny, in Tel Aviv oder Ramallah, in Beirut oder Haifa, bei den Praktiken der Geheimdienste im Kampf gegen den Terror sowie durch Regime geschieht, die den Terror schüren und finanzieren. Anna Politkowskaja hat – ebenso wie viele andere Journalisten – ihren Mut, ihre politische Unabhängigkeit, ihre Klarheit und ihr Mitgefühl mit den Opfern des Tschetschenienkrieges mit dem Leben bezahlen müssen. Die Reaktion Putins zeigt sowohl dessen Kälte als auch die Fragilität der Demokratie im heutigen Russland.
    Für Proteste gegen die Überwachungspläne von Innenminister Wolfgang Schäuble in Deutschland 2006 hätte es wacher Bürger bedurft, die vehement gegen jedes Beschneiden der Bürgerrechte aufgrund angeblicher Sicherheitsnotwendigkeiten eintreten. Schon bei Schilys sogenanntem »Otto-Katalog« waren aber kaum Stimmen von Bürgerrechtlern vernehmbar, schon gar nicht aus den Reihen der ewigen Stasi-Aufarbeiter mit ihrer Blindheit für die Machenschaften anderer entsprechender »Dienste« bis 1989 und seither.
    Die Zukunft des bürgerschaftlichen Widerstandes und Engagements wird in neuartigen Bündnissen wie
Attac
liegen. Diese globalisierungskritische Bewegung hat – unterstützt von den Gewerkschaften
ver.di
und
Erziehung und Wissenschaft
, dem
BUND
oder
Pax Christi
bis hin zu kapitalismuskritischen Gruppen – verschiedenste Aktionsformen und Methoden entwickelt. Inzwischen gibt es über 200 Ortsgruppen in Deutschland. Wenn bei den zweimal jährlich stattfindenden
Attac
-Vollversammlungen Erfahrungen ausgetauscht werden, Entscheidungen im Konsensverfahren getroffen werden und alle Anwesenden – gleich ob Mitglied oder nicht – Rede- und Stimmrecht haben, dann ist das gelebte Demokratie im Kleinen. Die bundesweiten Kampagnen |69| »Internationale Steuern«, »Bahn für alle« und zum G8-Gipfel 2007 in Deutschland, aber auch lokale Protestaktionen gegen Sozialabbau werden wahrgenommen. Das sollte Mut machen und zu eigenem Engagement und kritischer Beobachtung unserer Demokratie auffordern. Verstetigt sich das Engagement, kommt man allerdings nicht ohne institutionalisierte Formen aus – mit allen Problemen, die jede Institutionalisierung aufwirft.
    Wie leicht auch eine »erwachsene Demokratie« sich selber abschaffen kann, konnte Italien erleben, ehe es mit knappster Mehrheit der (Selbst-)Unterwerfung durch einen reichen Demagogen – vorläufig! – entrann. Demokratie ist ein stets gefährdetes Projekt, eben weil Menschen, einmal an der Macht, schwer davon lassen können und allzu leicht autokratische Züge bekommen. Macht und Machtmittel müssen um der Bürger wie um der Machtinhaber willen selbst begrenzt bleiben. Die Machtübergabe muss rechtlich klar geregelt sein. Man erinnere sich an die Entgleisung Gerhard Schröders in der Wahlnacht 2005. Er präsentierte sich als bockiger Abgewählter, der so gar nicht mehr »nach Volkes Pfeife«, ja nicht mehr nach demokratischen Regeln tanzen wollte.
     
    Die Politik in der Demokratie droht am Anfang des 3. Jahrtausends zur Beute von Parteien, von Lobbyinteressen der Expertokraten, von Medien unter Quotendruck und von Beraterfirmen zu werden. Und »das Volk« wird zur passiven Verfügungsmasse, wenn sich nicht viele Bürgerinnen und Bürger für eine lebendige Demokratie engagieren, um der Ökonomie das Primat der (Welt-)Herrschaft wieder zu entreißen. Mangel an politischem Interesse und an – durchaus anstrengender, lustferner – politischer
Bildung
und politischer
Bindung
erweitern für jene das Terrain, die nicht auf den mündigen Bürger setzen, sondern auf den gefügigen Kunden oder Nutzer von »niedrigschwelligen Medien« wie
BILD
, »Unterschichtenfernsehen«, Killer- und Gewaltvideos und Gewaltspielen. Was und wieviel Sie sich davon reinziehen, dürfte Sie mehr beeinflussen, als Sie meinen.
    |70| Acht Prozent der Bevölkerung gehören – laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2006 – zum »abgehängten Prekariat«. Im Westen

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