Lass los was dich festhaelt
von dem, was wir Gefühl und Emotion nennen, seit jeher eher gestört gefühlt hat. Ganz zu schweigen von der Sexualität! Der Verstand begreift Zusammenhänge, ordnet Erlerntes und Neuwertiges ein, beurteilt und wägt ab, kalkuliert und erkennt.
Manche Wissenschaftler haben zu beweisen versucht, dass unser Gefühl stärker ist als der Verstand, dem ja auch die Zukunft zugeordnet wird. Ich behaupte, dass der Verstand das Gefühl mindestens genauso dominieren kann, denn er wird vom Charakter eines Menschen beeinflusst, während Gefühle, die in enger Verwandtschaft mit dem Triebleben und dem Instinkt stehen, bedenkenlos alles überfluten, es sei denn, ein Mensch hat gelernt, seinen Gefühlsapparat mit all seinen Funktionsmöglichkeiten durch seinen Verstand zu disziplinieren, denn dem Verstand ist auch der Wille zugeordnet. Ich hätte noch einen Beweis für meine Theorie, von der ich nicht verlange, dass ihr irgendjemand zustimmt: Wenn eine junge hübsche Frau einen 40 Jahre älteren Mann heiratet, dann ist dieser selten Straßenkehrer oder Supermarktangestellter. Wie viel Kalkül (also Verstand!) und Wille muss wohl aufgebracht werden, um in so einer Verbindung die fast immer beteuerte »tiefe Liebe« zu erzeugen? Ich habe es, wohlgemerkt, unterlassen zu behaupten, dass diese Liebe nur geheuchelt sei, sondern gesagt, dass der Verstand so stark ist, dass er sogar nach Bedarf Gefühle erzeugen und absterben lassen kann. Wenn uns Gefühle
überrennen und »gegen alle Vernunft« handeln lassen, wird es trotzdem einzig und allein der Verstand sein, durch den wir die berühmte Contenance (lat. continentia = Selbstbeherrschung) wieder erlangen können.
Sie haben es natürlich bemerkt: Wir sind soeben bei einem leidigen Thema angelangt, nämlich bei der (Eigen-)Kontrolle, welche sich in zeitloser Feindeshaltung gegenüber der (Selbst-) Befriedigung befindet. Dem letztgenannten Begriff ist im Laufe der Zeit ein ähnlich hartes Schicksal widerfahren wie dem Ausdruck »Gleichgültigkeit«. In früheren Zeiten verstand man unter Befriedigung immer Genugtuung oder die Erfüllung einer berechtigten Anspruchshaltung. Inzwischen kann das Wort Befriedigung nicht mehr ausgesprochen werden, ohne dass sich im Hirn automatisch der Link zum Thema Sex auftut. Aber gibt es überhaupt eine Verbindung zwischen Frieden und Sex?
Friede ist: Aussöhnung, Waffenruhe, Verzeihung und Abrüstung. Sex ist: Trieb, Sinnenrausch, Zeugungsdrang, Begehren, Geschlechtsimpuls. Alle diese dem Lexikon entnommenen Wortumschreibungen zeigen, dass es keine Übereinstimmung zwischen dem einen und dem anderen Begriff gibt. Trotzdem wurde die Selbst-Befriedigung widerstandslos in den Sprachgebrauch integriert. Ist mein Selbst im Zustand des Unfriedens, wenn es keinen Sex bekommt? Unfrieden ist im Lexikon mit folgenden Synonymen aufgeführt: Feindseligkeit, Krieg, Hader, Streit und Zwist.
Einfacher wird das Verstehen, wenn wir Friede gleichsetzen mit Ruhe und Unfriede mit Unruhe. Also kann ich mir durch Selbstbefriedigung Ruhe verschaffen, was aber bedeutet, dass vorher Unruhe herrschte. Unruhig ist mein Herz oder wer oder was? Egal wodurch sie ausgelöst wird: Unruhe stört das Gleichgewicht. Befrage ich »meine« Männer, höre ich, dass Sex
Spannungen abbaut. Und - Spaß macht. Um das zu erfahren, brauchen wir Frauen keine Nachfrage bei unseren Geschlechtsgenossinnen. Also schlagen wir offensichtlich zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir bekommen durch Sex Spaß und Entspannung (sprich Befriedigung). Dass Sex auch ein Ausdruck von Zuneigung und Liebe sein kann und bei der Zeugung von Nachkommen eine Rolle spielt, bedarf keines weiteren Kommentars. Doch hier und jetzt geht es nur um die Triebfeder Sex, die unsere Herzen, Seelen und Körper unruhig macht, weil sie ein Ausdruck eines rein auf den Körper bezogenen animalischen Vorgangs ist, der von Hormonen gesteuert wird, wie die Planeten von ihrer Anziehungskraft.
Natürlich haben Sie es längst durchschaut: Ich versuche Sie auf das Loslassen vom sexuellen Begehren einzustimmen, was nur bei denen auf Interesse stoßen wird, die sich wirklich mit dem tiefen Sinn des Verzichts befassen wollen.
Dazu möchte ich Ihnen unbedingt ein bisschen über das Wort »Verzicht« erzählen. Es ist eng verwandt mit dem Verb »verzeihen«, das in früherer Zeit »einen Anspruch aufgeben« bedeutete. Im Lateinischen finden wir für »verzichten« das Verb resignare , was insofern interessant ist, als signare neben »beund
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