Lass los was dich festhaelt
»Jugendliche«, »Hotshot« genannt, propagiert, damit unseren Dreizehnjährigen auch geholfen ist und »Malheuren« wie Aids, Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaft »rechtzeitig« vorgebeugt wird.
Ich möchte Ihnen gern ein bisschen mehr »Gefühl« für das Wort »vorbeugen« vermitteln. Immer wenn ein Begriff mit »beugen« zu tun hat, wird etwas ursprünglich Größeres klein gemacht, also in eine eigentlich verbildete Position gedrückt. Sich neigen, sinken, ducken, unterwerfen, nachgeben - all diese Ausdrücke sind Verwandte der Beuge-Familie. Wir waren und sind groß im Beugen von Gesetzen, im Verneigen vor Kulturzwergen und im Ducken vor Tyrannen. Könnten wir wenigstens ein einziges Mal nicht nachgeben, uns nicht beugen und biegen, nur um etwas zu ermöglichen, was in diesem Alter absolut unangebracht ist? So, wie das Kleinkind nach Zucker schrie, verlangt der Heranwachsende jetzt nach Sex, und keiner wagt es, aufzustehen und zu sagen: »Moment mal! Dafür ist es noch zu früh!«
Nur weil einem gerade die ersten Zähne wachsen, muss man doch nicht gleich Zuckerstangen zerbeißen! Wie klingt für Sie: Ruhe geben, in Ruhe reifen lassen, sich beherrschen, sich selber
kennenlernen, disziplinieren? Hört sich das alles nicht an, wie von einem rückständigen Hinterwäldler gepredigt, an dem der »Fortschritt« unbemerkt vorbeigegangen ist? Es geht mir nicht darum, engstirnige Limits zu setzen, wohl aber um die grundsätzliche Notwendigkeit, den Kindern und Jugendlichen die Zeit zu geben, die sie brauchen, um mit der am meisten kommentierten Kraft des Menschseins, der Sexualkraft, in angemessener Weise umgehen zu lernen. Und dazu gehört vor allem Beherrschung. Wer sie auf diesem Gebiet nie anzuwenden gelernt hat, wird auf anderen Gebieten ebenso haltlos ausgeliefert sein, denn Selbstkontrolle bezieht sich vor allem auf den Bereich, den wir als »das Sexuelle des Menschen« bezeichnen.
Das »Sexuelle« wird allgemein gern als Quelle der Vitalkraft des gesamten Menschen, seines Denkens, Fühlens, Schaffens und seiner Entwicklung angesehen. Doch in Wahrheit ist die Sexualkraft nur eine von vielen Ausdrucksmöglichkeiten der Vitalkraft, also der Lebensenergie. Die Schöpferkraft des Menschen zeigt sich immer dort als mächtigstes Agens, wo sie konzentriert hingelenkt wird. Wer als Kind oder Jugendlicher seine Gedankenbilder unentwegt mit sexuellen Fantasievorstellungen beliefert und seine Gefühlskräfte nur mehr auf das konzentriert, was man heute so elegant als »geil werden« bezeichnet, dem wird die Möglichkeit genommen, seine Vitalkräfte bewusst und willentlich auf andere Gebiete zu lenken und so unter Kontrolle zu bekommen. Außerdem gewinnt intimer Verkehr mit einem anderen Menschen einen völlig anderen Stellenwert und eine andere Bedeutung im persönlichen ethischen Empfinden, wenn er in Stimmigkeit mit einem ausgereiften Körper, einer im besten Sinne erwachsenen Seele und einem mündigen Geist vollzogen wird.
Denkt eigentlich noch irgendjemand daran, dass die intime Vereinigung auch ein heiliger und großer Vorgang ist, der in
den Körpern unauslöschliche Spuren hinterlässt? Und gibt es noch jemanden, der den Kindern bewusst macht, was »geil werden« bedeutet? Es heißt ursprünglich nichts anderes als »in Gärung befindlich« und »aufschäumend« zu sein, also eigentlich in einem Zustand, in dem man besser ein bisschen abwarten und abkühlen, also »entschäumen« sollte. Dieser Zustand entspricht auch dem berühmten »hormonellen Irresein«, das so oft mit »Liebe« verwechselt wird und doch nur den Reiz durch die Nähe eines anderen und die Gier nach Lustbefriedigung meint.
Ihnen, die Sie dieses Buch lesen, soll keineswegs eingeredet werden, dass die Sexualität »losgelassen« werden muss. Im Gegenteil, es geht darum, sie in den Griff zu bekommen, damit Sie Abstand gewinnen können von den Hindernissen, die Sie davon abhalten, eine wirkliche und erfüllte Seelenpartnerschaft zu erlangen und zu behalten. Sie glauben gar nicht, wie viele konsequente Neins dafür notwendig sind, denn den Treibern, die sich auf das Partizipieren an Sexualkräften spezialisiert haben, ist es völlig egal, bei wem Sie »geil« werden und mit wem Sie Ihre Sexualität ausleben. Hauptsache es entsteht die »am meisten aufschäumende« Variante auf der sexuellen Gefühlsskala: die Wollust. Dieses Empfinden, das von zärtlicher Hingabe und liebevoller, leidenschaftlicher Sinnlichkeit so weit entfernt ist wie der
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