Lass los was dich festhaelt
can!«), denn nicht umsonst heißt es: »Die Götter sind mit den Mutigen« und »Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott« oder, ohne höhere Macht: »Wenn jeder sich selbst hilft, ist allen geholfen.«
Der letzte Satz ist von bestrickender Zweideutigkeit. Denn immer, wenn einer sich selbst hilft, ist die Art, wie er das geschafft hat, im kollektiven Gedächtnis für immer verankert und damit für jeden anderen abrufbar. Es ist sicher nicht ketzerisch
zu sagen, dass damit ein großer Teil der göttlichen Beihilfe erklärbar wird.
Erinnern Sie sich, dass einer unserer drei großen Loslass-Verhinderer das tiefe menschliche Bedürfnis nach Besitz war? Gönnen wir uns eine Minute der Wahrheit: Immer, wenn wir eine Beziehung eingehen, tun wir dies exklusiv. Grässliche Sätze wie »Bis dass der Tod uns scheidet« und Floskeln wie »unauflöslich verbunden« und »für immer und ewig dein« kommen genauso aus dieser Bedürfniswerkstatt wie Eheverträge, Liebesschwüre und Blutsbrüderschaften. In jeder Beziehung mit diesem Hintergrund wird eine unsichtbare Sanduhr aufgestellt, deren Inhalt sich früher oder später unerbittlich verbraucht.
In der wunderbaren »Bürgschaft« erzählt Friedrich von Schiller von einer Männerfreundschaft, die auf so tiefem Vertrauen ruht, dass sie nicht einmal das Todesrisiko scheut. Das rührt selbst den Tyrannen und lässt ihn sagen: »Und die Treue ist doch kein leerer Wahn!« Recht hat er, der Herr König! Aber eben nur in diesem Fall, denn das, was er anspricht, ist eine Charaktereigenschaft, die sich, entgegen aller emotionalen Sprache, zwar oft mit Liebe gepaart zeigt, aber letztendlich, wenn man es ganz genau nimmt, keine Gemeinsamkeit mit ihr pflegt. Es sei denn, wir sprechen von einer Art der Liebe, die mit Eros und Sexus nichts zu tun hat, nämlich von der berühmten Agape, einer Form von Hinwendung zu einem anderen Menschen, die völlig erwartungsfrei und bedingungslos ist, also auch keine Besitzansprüche stellt. Obwohl Agape durchaus auch als Gefühl bezeichnet werden kann, ist diese Zuordnung nur teilweise richtig, denn wer fähig geworden ist, diese Form der Zuneigung in sich erstehen zu lassen, ist auf dem besten Weg, christlich zu werden, und zwar im schönsten und reinsten Sinn: gleich-gültig.
Diese höchste Stufe zu erreichen ist ein Akt a) des Willens, b) der Selbsterziehung, c) der Charakterbildung und d) des Glaubens an eine höhere Macht, die ein Wesen, keinesfalls aber eine Person ist. Bis wir diese vier Säulen der Selbsterlösung nicht ins Gleichgewicht gebracht haben, werden wir wieder- und wiedergeboren werden und von Beziehung zu Beziehung taumeln. Solange das Beieinandersein für uns noch von Habenwollen und Sicherheitsstreben erfüllt ist, hat es wenig Sinn, großartig über das Loslassen von Partnern zu parlieren und Rezepte für die Freiheitsgestaltung zu veröffentlichen.
Der unübersehbare äußere Wandel unserer Zeit ist eine nicht mehr rückgängig zu machende Verwandlung in ein anderes Wahrnehmen, ein neues Bewusstsein und eine Transformation, die sich seit langer Zeit so vorbereitet hat, wie sich jede Revolution in der Vergangenheit angekündigt hat: durch extremen Niedergang der Moral und Ethik, durch mutwilliges Verwischen der Geschlechtergrenzen, durch tief greifende technische und wissenschaftliche Neuerungen, durch Wirtschaftszusammenbrüche und durch die Bildung zweier Gesellschaftsschichten, nämlich Reich und Arm, mit einer sich stetig aufreibenden Mittelschicht-Pufferzone. Da, wo sich bis jetzt die größte Stabilität gezeigt hat und zur Gewohnheit geworden ist, werden die Veränderungen am intensivsten vorausgefühlt. Das betrifft auch Beziehungen, die bequem geworden und längst zu erstarrten Nutzgemeinschaften mutiert sind.
Die kommende Zeit wird keine alten Sicherheits- und Bequemlichkeitsmuster dulden, keine abgelebten Hilfsmittel akzeptieren und schon gar keine Verhaltensformen zulassen, die nicht den Bedürfnissen der Allgemeinheit dienen. Dass wir plötzlich für das Thema«Loslassen« aufgeschlossen sind, zeigt
doch nur, dass eine kollektive Vorahnung den Geist bereits auf das Kommende einstimmt, und dazu gehört unter anderem, dass sich Beziehungsformen per se grundsätzlich korrigieren und neu gestalten.
Vor jedem Erdbeben schnattern die Gänse! Und vor jedem Umbruch werden diejenigen unruhig, die ihr Programm, ihre Fähigkeiten zu früh »entschleunigt« haben. Man könnte beinahe sagen: die es sich auf ihren Lorbeeren
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