Lass mich deine Liebe spueren_Zwei Maenner fuer die Herzogin
erkannte er lächelnd, daß Alexandra keine »Zeit verschwendete«, wie er zunächst angenommen hatte, sondern ihren Schülern das Alphabet mit Hilfe eines Liedes beibrachte. Er schob die Hände in die Taschen, lehnte sich gegen den Türrahmen und hörte zu.
Auf dem Boden hockten aber nicht nur Kinder jeden Alters, sondern auch etliche Erwachsene. Nach einigem Grübeln erkannte er Frauen seiner Pächter und einen alten Mann, den Großvater seines Verwalters. Er hatte aber keine Ahnung, wer die anderen waren und aus welchen Familien die Kinder kamen.
Aber sie erkannten ihn. Schon bald wurde das begeisterte Singen immer leiser und verlegener, um schließlich ganz zu verstummen. »Schon genug für heute?« erkundigte sich Alexandra lächelnd, die ihn noch gar nicht bemerkt hatte. »Wenn das so ist, sage ich euch jetzt einen Satz, über den ihr nachdenken solltet, bis wir uns am Freitag Wiedersehen. >Alle Menschen sind gleich geboren<«, zitierte sie, während sie sich mit dem Rücken zu ihm auf die Tür zubewegte, um sich von ihren Schülern zu verabschieden. »Nicht die Herkunft zeichnet einen Menschen aus, sondern seine Tugenden.« Ihre linke Schulter stieß gegen Jordan, und sie wirbelte herum.
»Was erzählst du ihnen denn da«, neckte Jordan leise und ignorierte die Kinder und Erwachsenen, die hastig aufstanden und ihn ehrfurchtsvoll anstarrten. »Mit Zitaten wie diesen öffnest du der Anarchie Tür und Tor.«
Jordan trat einen Schritt zur Seite, und die Kinder verließen eiligst das Cottage.
»Sie haben kein einziges Wort zu dir gesagt«, stellte Alexandra verwundert fest und sah ihren freundlichen und aufgeschlossenen Schülern nach, die mit gesenkten Köpfen wie gehetzt verschwanden.
»Weil ich auch kein Wort zu ihnen gesagt habe«, erwiderte Jordan ungerührt.
»Und warum hast du es nicht getan?« fragte Alexandra und spürte, daß ihre Freude über sein unerwartetes Auftauchen durch ihre Verunsicherung einiges von ihrem Glanz verlor.
»Im Gegensatz zu vielen anderen Landbesitzern haben meine Vorfahren keinen persönlichen Umgang mit ihren Pächtern gepflogen«, erwiderte Jordan gleichgültig.
Ungebeten tauchte die Vision eines kleinen, einsamen Jungen vor ihr auf, dem streng verboten war, sich mit irgend jemandem anzufreunden. Sie hakte sich schnell bei ihm ein und lächelte ihn zärtlich an. »Ich bin überrascht, dich zu sehen. Was führt dich denn hierher?«
Du hast mir gefehlt, dachte er, aber er log: »Ich konnte meine Arbeiten früher beenden.« Langsam schlenderte er mit ihr zum Haupthaus zurück und zu dem Pavillon am Ende des kleinen Sees. »Hier habe ich mich früher am liebsten aufgehalten«, sagte er, lehnte sich mit der Schulter gegen eine der weißen Säulen und blickte abwesend über den See und den angrenzenden Wald. »Wenn man all die Stunden zusammenzählt, die ich hier als Junge zugebracht habe, müssen es Jahre sein.«
Tiefbeglückt darüber, daß ihr gutaussehender, rätselhafter Mann endlich ein wenig aus sich herausging, lächelte ihn Alexandra an. »Es war auch mein Lieblingsplatz während meines ersten Aufenthalts auf Hawthorne. Was hast du getan, als du hier warst?« fragte sie und erinnerte sich an die herrlichen, aber damals so hoffnungslosen Träume, denen sie sich in den bunten Polstern des Pavillons hingegeben hatte.
»Gelernt«, erwiderte er knapp. »Das Schulzimmer hat mir nicht besonders gefallen. Der Lehrer übrigens auch nicht.«
Jordan entging die mitfühlende Zärtlichkeit in ihren blauen Augen nicht, obwohl ihm der Grund unbekannt war. »Und womit hast du dir hier die Zeit vertrieben?« wollte er wissen.
Alexandra hob unbehaglich die Schultern. »Meistens mit Tagträumen.«
»Was hast du geträumt?«
»Nichts Besonderes.« Einer weiteren Antwort wurde sie enthoben, denn Jordan blickte plötzlich mit gerunzelter Stirn zu einer Waldlichtung hinüber. »Was ist denn das?« fragte er. Dann ging er langsam zu der Stelle und las mit ungläubigem Staunen die Worte, die auf einem keilförmigen Marmorgrabstein standen:
Jordan Addison Matthew Townsende
12th Duke of Hawthorne
* June 27th, 1786
+ April 16th, 1814
Dann drehte er sich zu Alexandra um und fragte mit fast angewidertem Gesichtsausdruck: »Anthony hat mich hier draußen im Wald versteckt? Habe ich seiner Meinung nach keinen Platz auf dem Familienfriedhof verdient?«
Alexandra mußte über seine unvermutet komische Reaktion lachen. »Dort gibt es natürlich auch ein Monument für dich. Aber
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