Lass sie bluten
nach Phuket zu nehmen. Die Alternativen waren noch offen. Aber nach Hause musste er.
Er hatte es mit seinem gefälschten Pass durch die Passkontrolle geschafft. Jetzt: nur noch die Zollkontrolle. Es durfte einfach nicht den Bach runtergehen. Er durfte nicht geschnappt werden. Durfte es jetzt nicht vermasseln.
An den Wänden: großformatige Fotos von Stockholmern. Von Benny Andersson, Björn Borg, vom König. Und von einem Kebabkioskbesitzer. ’n völlig unbekannter Typ. Dort stand:
willkommen in meiner Heimatstadt
. Jorge dachte: Der Kebabpolacke ist doch gar kein Schwede, wie kann er denn jemanden willkommen heißen?
Dann: falsch gedacht – der Kebabtyp ist genauso schwedisch wie ich. Und ich hab keine andere Heimat – das hier ist meine Stadt, mein Zuhause. Ich gehöre hierher.
Seine Gedanken wurden unterbrochen. Jemand legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Ja Mensch, hej. Haben wir etwa im selben Flieger gesessen?«
Jorge drehte sich um. Er erkannte die melierten Augen sofort wieder.
Das Mädel mit den Dreadlocks, dessen Handy er sich in der Bar in Pattaya geliehen hatte. Sie smilte.
Jorge antwortete: »Ja, offenbar, allerdings musste ich zwischen den Koffern liegen.«
Sie lachte. Sie hatte einen hübschen Mund. »Aber dann hättest du doch auf dem Gepäckband herauskommen müssen, oder?«
»Stimmt, aber ich bin herausgekrochen und hab mich in deinen Dreadlocks versteckt. Nicht gemerkt?«
Sie lachten gemeinsam los.
Das Mädel fragte, wohin er in den vergangenen Wochen gereist war. Jorge erzählte, wie es war, dass er nach Phuket gefahren sei. Bei ihr klang es, als sei sie auf dem halben Erdball herumgekommen. Hatte eine Trekkingtour im Dschungel von Malaysia gemacht, die Orang-Utans in Indonesien besucht, Elektronik in Singapur geshoppt und in Vietnam Gras geraucht.
Sie hatte einen Ring in der Nase, trug ein weißes ausgewaschenes T-Shirt und weite Hosen mit Batikmuster. Jorges Wunschdenken: Wenn die Zollbeamten sie nicht rauswinkten, um sie auf Gras zu filzen, konnten sie es unmöglich auf jemand anderen von diesem Flight abgesehen haben.
Sie unterhielten sich. Die Koffer rollten nach und nach auf das Gepäckband. Jorges Koffer kam zuerst. Er nahm ihn an sich. Stellte ihn auf den Boden. Ging auf das Mädel zu und wollte gerade tschüss sagen. Doch dann hielt er inne. Dachte: Ich warte lieber auf sie.
Sie bemerkte es. Schielte zu ihm rüber. Lächelte. Fragte ihn, ob er noch mehr Gepäckstücke hatte.
Ihr Rucksack kam nach einer weiteren Minute.
Sie gingen gemeinsam auf den Zollfilter zu.
Das Mädel fragte, wo in Stockholm er hinmüsse. Was er so mache. Wann er das nächste Mal verreisen würde. Er spürte die Unruhe in seinem Körper pochen. Er hatte Magenschmerzen. Ihm war total übel. Er schaute stur geradeaus. Sah die Zollbeamten in fünfzig Metern Entfernung stehen und Smalltalk halten. War bemüht, die Fragen des Mädels zu beantworten.
Er erblickte einen Hund, einen Schäferhund.
Er sah, wie er an den Koffern schnüffelte, die den Zoll passierten.
Er spürte seinen eigenen Puls höher schlagen als Little-Jorges Mini-Herz.
Er wusste, dass er keine Drogen bei sich hatte. Aber die Anwesenheit des Hundes besagte, dass die Zollbeamten auf der Hut waren. Dass sie vorhatten, Stichproben unter den Passagieren zu nehmen. Er glaubte zwar nicht, dass sie nach ihm fahndeten, denn das hätte aus den Dokumenten hervorgehen müssen, die er über Hägerström von JW bekommen hatte. Aber jetzt hatten sie immerhin Babak festgenommen – die Situation konnte sich geändert haben. Sie näherten sich.
Sein Handschweiß bewirkte, dass ihm der Griff seines Koffers beinahe aus den Fingern rutschte.
Das Mädel plapperte weiter.
Sie kamen in den Zollbereich.
Nothing to declare
.
Er begegnete dem Blick eines Zollbeamten. Der Typ starrte ihm geradewegs in die Augen.
Aber keine Reaktion.
Jorge passierte den Zoll. Der Hund schnüffelte noch nicht einmal an seinem Koffer.
Sie kamen an der anderen Seite wieder heraus.
Dort warteten diverse thailändische Familien sowie dickleibige Taxifahrer mit Schildern in der Hand, auf denen Nachnamen standen.
Er war wieder auf schwedischem Boden.
Es gab also doch einen Gott.
Einen Tag später. Er saß zu Hause bei Paola. In Örnsberg. Die Bäume draußen vor dem Fenster hatten sich herbstlich gefärbt.
Little-Jorge war außer sich vor Glück, dass er kam. Rannte hin und her und wollte ihm Bilder zeigen, die er gemalt hatte.
Hijo predilecto
. Das Beste auf
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