Lass sie bluten
so aus.
Die Scheibenwischer fuhren über die Scheibe hin und her.
Er sah, wie die beiden schwarzen Zivilstreifen hinter ihnen herfuhren.
Er war innerlich ruhig. Lehnte sich zurück. Ließ seinen Gedanken freien Lauf.
Er fragte sich, warum Andrés ihm geholfen hatte. Körperverletzung, Begünstigung eines Straftäters, vielleicht noch mehr. Andrés verurteilte sich selbst zu einer Gefängnisstrafe, um Jorge zu helfen. Ein echter Mensch. Ein Engel. Jorge würde sich dafür erkenntlich zeigen.
Er sah Bilder vor seinem inneren Auge. Das erste Mal, als die Polizei ihn nach Hause zu seiner Mutter schleppte. Er war elf Jahre alt. Hatte schon mehrere Monate lang geklaut – er und seine Kumpels zogen jeden Nachmittag von Geschäft zu Geschäft und klauten so viel, wie sie tragen konnten. Oft mussten sie das Zeugs auch in den Müll werfen. Es war regelrecht ein Sport.
Und eines Tages wurde er erwischt. Hatte zwei Tüten Weichgummiautos geklaut. Er und Sergio mussten in einem Büro sitzen und warten, bis die Polizei eintraf. Aber vorher kam der Filialleiter herein.
»Für wen haltet ihr euch eigentlich, ihr verdammten Neger?«
Jorge starrte ihn an.
Der Filialleiter kniff ihm in die Wangen. Es tat weh.
»Ich glaube, ich muss dir wohl die Scheiße aus dem Leib prügeln.«
Sergio stand auf und sagte: »Hören Sie auf damit.«
Es war in der Tat so, dass er Sergio immer noch dafür liebte, dass er ihm dort in diesem Büro zu Hilfe gekommen war. Gewisse Typen waren von Natur aus anständig. Vielleicht gehörte Andrés auch dazu.
Das Taxi fuhr in Richtung Odenplan hinauf. Bog abrupt nach rechts ab. Den Karlbergsväg hinauf. Die Reifen quietschten. Die Polizeiärsche waren immer noch hinter ihnen. Jorge hielt sich am Griff an der Wagendecke fest.
Er musste an die GTÜ -Knete denken, die er ausgegraben hatte. Klar: Es waren sechshunderttausend. Aber
mierda
: Das Meiste davon war gefärbt. Diese Geldkoffer hatte nicht der Kompagnon des Finnen mitgeholfen zu öffnen, das hatte er selbst übernommen. Und er hatte die Scheine auch nicht so sorgfältig inspiziert wie die andere Knete zuvor.
Er rief JW an und fragte ihn, ob es möglich wäre, die Scheine sauber zu bekommen, oder einfacher ausgedrückt – er benötigte sie nicht schneeweiß, er wollte sie nur umtauschen und in Thailand ausgeben können. Sie trafen sich, und JW blätterte die Cashbündel durch. Stellte fest: »Man kann sie sauber kriegen, aber das dauert lange, mit Trocknen und so weiter. Ich rate dir eher, sie bei irgendeinem Geldwechselinstitut einzutauschen, wo ich ’n paar Kontakte habe. Sie nehmen solche Scheine, geben dir nur einen etwas schlechteren Kurs. Es dauert allerdings ein paar Tage.«
Ein weiterer Rückschlag. Jorge würde zu lange in Schweden bleiben müssen. Er bereute es jetzt mehr denn je.
Das Taxi bog ab und fuhr die Norrbackagata hinauf. Überall vierstöckige Häuser.
Jorge sagte: »Halt hier an. Und steig aus.«
Die Zivilstreifen bogen gerade in die Straße ein. Aus der anderen Richtung hörte Jorge Sirenen.
Er schob den Fahrer vor sich her. Es hatte aufgehört zu regnen.
Sie gingen auf einen Hauseingang zu. Jorge trat den gläsernen Teil der Haustür ein. Streckte die linke Hand hinein. Öffnete die Tür von innen. Die ganze Zeit über die Pseudopistole auf den Kopf des Taxifahrers gerichtet.
Sie gingen rein. Er befahl dem Fahrer, sich auf den Boden zu setzen.
Er sah zwei Polizeiwagen plus die Zivilstreifen anhalten. Die Polizisten sprangen heraus. Sie fragten sich bestimmt, was er vorhatte.
Er öffnete die Haustür einen Spaltbreit. Dann stellte er einen Fuß des Fahrers so hin, dass er im Türspalt steckte. Er hielt die Tür auf. Jorge lud die Pistole gut sichtbar für alle. Dann platzierte er die Waffe auf dem Türgriff.
Er sah den Fahrer an. »Kapiert? Wenn du dein Bein wegziehst, schlägt die Tür zu, und dann kann es sein, dass die Knarre losgeht und geradewegs auf dich zielt.«
Der Typ nickte. Jorge dachte: Ich muss ihm Blumen schicken und mich entschuldigen, wenn das hier überstanden ist.
Er rannte die Treppen im Haus hoch.
Hörte unter sich das Brüllen der Bullen durch den Hauseingang.
50
Hägerström saß auf der falschen Seite des Tisches. Er hatte so oft auf der anderen Seite gesessen, dass er es nicht mehr zählen konnte, dort, wo jetzt die Vernehmungsleiterin und der sogenannte Vernehmungszeuge saßen. Er musste angesichts der Situation innerlich grinsen. Heute war Kriminalinspektor Martin Hägerström
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