Lass sie bluten
deshalb geglaubt, ihr würdet zusammenpassen.«
Doch dann müsste seine Mutter eigentlich auch dort zu Hause sein. Sie trug den Namen Hägerström immerhin viel länger als er. Aber eigentlich war es eher so, dass sie selber nicht ganz darüber hinwegkam, dass sie einen gewöhnlichen Bauernnamen angenommen hatte. Als Unverheiratete hieß sie Cronhielm af Hakunge – Graf Gustaf, der an seiner Wand hing, war ihr Großvater. Seine Mutter war gräflichen Geschlechts, aber nach den Statuten des Riddarhuset wurden ihre Kinder heruntergestuft. Sie musste damit leben, dass sie für immer einem niederen Stand angehören würden. Natürlich außer Tin-Tin: Sie würde schon wieder ins richtige Niveau einheiraten.
Sein Großvater mütterlicherseits kam vom Gutshof Idingstad außerhalb von Linköping, war jedoch in den Dreißigerjahren nach Stockholm gezogen. Lottie selbst war im Narvavägen geboren worden. Sie hatte sich im Laufe ihres Lebens lediglich zwischen drei Adressen bewegt: ihrem Elternhaus, ihrer und der ersten Wohnung seines Vaters in der Kommendörsgata und schließlich der jetzigen Wohnung in der Ulrikagata. Eine Reise durchs Leben von maximal hundert Metern. Dabei war die Kommendörsgata vielleicht noch die Straße, in der sie Norrland am nächsten gekommen war.
Hägerström musste an das denken, was Mrado ihm berichtet hatte.
Für einen Mann wie Mrado war es sicher hart, übel und mies, zu vierzehn Jahren Haft verurteilt zu werden – aber nichts, für das er sich schämen musste. Es war nichts, womit er nicht gerechnet hätte. Eine Runde im Knast war etwas, womit alle in seiner Welt rechneten, wenn auch nicht unbedingt mit einer so langen. Aber für JW brach regelrecht eine Welt zusammen. Oder besser gesagt: zwei Welten.
Zum einen die ganz gewöhnliche schwedische Welt, aus der er eigentlich kam. Seine Mutter konnte es einfach nicht begreifen. Seine alten Freunde aus dem Gymnasium oben in Robertsfors waren geschockt. Sein Vater konnte ihm nicht verzeihen.
Zum anderen seine neue Welt, die Oberklasse. Die Beamten des Strafvollzugs behaupteten, dass ihn keiner seiner Freunde im Verlauf der Jahre besucht hatte. Keiner von denen, denen er mit allen Mitteln versuchte nachzueifern, hatte ihm auch nur einen Brief geschickt. Kein Einziger. So viel zum Thema wahre Freundschaft. Andererseits konnten die Beamten nicht beantworten, wer ihn im Lauf der letzten Jahre angerufen hatte. Darüber führten sie nicht Buch.
Hägerström widerstrebte es, wenn Mrado das Wort »Oberklasse« benutzte. Er wusste, was der Begriff bezweckte – diejenigen, die Schweden in Klassen einteilen und beispielsweise seine Familie als andersartig hervorheben wollten, benutzten ihn. Und außerdem hatte Anna ihn benutzt, wenn ihr kein anderes Argument gegen ihn einfiel.
Aber er regte sich nicht weiter darüber auf. Seine Familie
war
ja anders. Wenn auch nur ein wenig.
Mrado hatte berichtet, dass JW in den ersten Monaten nach dem Urteil nahezu apathisch gewesen sei. Doch dann wurde er nach und nach wieder der Alte. Er hatte darüber hinaus offenbar auch einen Plan. Er akzeptierte sein Schicksal. Begann neue Freundschaften aufzubauen. Neue Kontakte zu knüpfen. JW war es offensichtlich gelungen, einen Teil seines Geldes zu verstecken, den er vom Knast aus kontrollieren konnte. Er begann diversen Leuten kleinere Summen zu leihen. Erhielt die Erlaubnis von der Gefängnisleitung, ein Fernstudium aufzunehmen – das lediglich auf dem Papier existierte. Nach Mrados Aussage verbrachte er die Zeit eigentlich damit, sein Geld zu verwalten und sich clevere Vorgehensweisen auszudenken, mittels derer er anderen mit demselben Bedürfnis helfen konnte.
Mrado kannte Leute, denen JW geholfen hatte. Raubgelder, Drogengelder, Nuttengelder, Erpressergelder: Alles konnte gewaschen werden, wenn man nur sorgfältig und geduldig genug war.
Aber Mrado weigerte sich, Namen zu nennen. Das war ein Rückschlag.
Torsfjäll meinte, dass er sich das, was Mrado berichtet hatte, auch selbst hätte ausrechnen können. Für ihn war klar, dass JW die Leute draußen bei der Geldwäsche unterstützte. Die Frage war nur, wie umfassend das Ganze war. Wie es ihm gelang, die Informationen raus- und wieder reinzubringen. Und vor allem: wer zu seinen Kunden zählte.
Torsfjäll wusste noch eine andere Besonderheit. JW hütete eine Art Geheimnis. Ein tragisches Mysterium, das sich ein paar Jahre vor seiner Verurteilung zugetragen hatte. Camilla Westlund, seine Schwester, hatte zu
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