Lasse
Geschirrtuch, das ich schnell um den Daumen wickelte. Lasse Paulsen in schwedischem Ferienhaus verblutet! Ole stand ratlos mit mir in der Küche und schob mir einen Stuhl hin.
»Ole!«, schrie meine Mutter aus dem Bad. »Geh' bitte zum Auto und hol den Verbandskasten.«
Mein Bruder war froh, aus der Küche verschwinden zu können, schnappte sich den Autoschlüssel und rannte nach draußen.
Lisa kam zögernd in die Küche und setzte sich mir gegenüber an den Küchentisch. »Zeig mal!«, sagte sie und hielt mir fordernd die Hand hin. Ich schob das Geschirrhandtuch zögernd über den Tisch.
»Mein Vater ist Arzt«, erklärte sie, wickelte das Tuch ab und besah sich mit einem fachmännischen Blick die Wunde.
»Ist nicht tief, die Fingerkuppe bleibt dran, der Daumennagel ist gespalten, er hat das Beil zum Glück etwas aufgehalten.«
Ich sah nicht hin. »Du meinst, ich werde überleben?«
»Sicher.«
»Und weiter schauspielern können?«
Sie lächelte. »Tja, das ist schwer zu beurteilen, da ich nicht weiß, ob du deinen Daumen dafür brauchst.«
»Klar, ich brauche alles dafür!«
»Alles?« Sie kicherte.
Ole kam in die Küche gestürmt, sah uns irritiert und auch etwas genervt an und knallte den Verbandskasten auf den Tisch.
»Und? Was ist?«
»Könntest du mir Desinfektionszeug, eine Kompresse, einen Mullverband und Hansaplast rauslegen«, sagte Lisa zu Ole und presste dabei meine Wunde geschickt mit dem Geschirrtuch zusammen. Meine Mutter sah kurz in die Küche und lächelte erleichtert. »Danke, Lisa.«
Ole legte ihr die Sachen heraus und sah Lisa fasziniert dabei zu, wie sie die Wunde versorgte. Ihre Handgriffe waren schnell, geschickt und sehr sanft.
»Also nicht ins Krankenhaus fahren und nähen lassen oder so?!«, sagte Ole und knuffte mich in die Seite. Es kam mir fast so vor, als ob er eifersüchtig auf die Behandlung war.
Meine Mutter brachte unsere Kaffeetassen in die Küche. Sie stellt das Tablett neben die Spüle zu den dreckigen Tellern des Abendbrots und suchte nach einer Spülmaschine, die nicht vorhanden war.
»Lisa, ich habe dir mein Zimmer fertig gemacht, da kannst du gerne schlafen.«
»Und du?«, fragte Ole.
»Ich lege mich im Wohnzimmer auf die Couch. Kein Problem.«
»Danke«, sagte Lisa und blickte nicht auf.
Ole sah zu mir und zuckte mit den Schultern als wollte er sagen: Siehst du, es regelt sich schon alles von ganz allein .
Abends, in dem kleinen Zimmer, das ich mir in der Hoffnung ausgesucht hatte, dass ich hier wirklich allein bleiben würde, fiel mir auf, wofür ich den Daumen eigentlich ständig brauchte. Ich wollte Krista eine SMS schreiben, aber die anderen Finger machten den Job schlecht. Es schien wie ein Zeichen zu sein. Was sollte ich ihr überhaupt schreiben? In den letzten Tagen hatte ich angefangen, eine Art Tagebuch zu führen, indem ich meine Gedanken in die Notizfunktion meines iPhone eintippte. Aber auch das ging nun nicht mehr so gut.
Also packte ich nur meine Reisetasche aus, legte die noch leicht feuchte Anzughose von Ole über die Stuhllehne und das Jackett daneben. Ich hatte ihm versprochen, den Anzug in die Reinigung zu geben, entweder hier oder in Hamburg. Auch das gehörte zu dem Plan, alle meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Beim Abendessen hatte ich wieder keinen Alkohol getrunken. Es tat mir gut. Ich legte meine Turnschuhe aus meiner Reisetasche. Morgen wollte ich laufen, denn ich musste dringend etwas für meine Kondition tun. Ich atmete tief durch. Ich war mir nicht sicher, ob das nicht ein paar zu viele gute Vorsätze waren. Immerhin war nicht Neujahr, sondern Sommer. Wollte ich auf ein gekühltes Bier an einem heißen Nachmittag verzichten? Auf den Rotwein, wenn wir ins spanische Viertel in Hamburg essen gingen? Oder den Champagner auf den kommenden Filmpartys?
Ich hörte, wie Ole und Lisa in ausgelassener Stimmung die Treppe hochkamen. Sie hatten zusammen in der Küche abgewaschen und mich freundlicherweise davon befreit. Die drei Zimmer im oberen Stockwerk lagen eng beieinander und ich hörte ungewollt, dass sie zusammen in das Nachbarzimmer gingen. Ich legte mich auf das schmale Bett, schob mir die Ohrstöpsel ins Ohr und schloss die Augen. Kurz danach hörte ich die beiden. Auch mit Musik in voller Lautstärke. Ich riss mir die Ohrstöpsel heraus, schnappte mir die Turnschuh und ging nach unten. Seinem Bruder beim Sex zuzuhören war eine Sache, aber zu wissen, dass er gerade einem Mädchen das Herz brach, eine
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