Lasse
gebrochen aus. Das hier war nicht witzig.
»Ole, lass ihn los.«
Ole schubste Gerion von sich weg und ich atmete erleichtert auf. Ich wusste, wie man Ole beruhigte, aber diesmal drängte Gerion mich beiseite und baute sich wieder vor Ole auf. Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass es ein Problem oder einen Konflikt gab, von dem ich nichts wusste. Etwas, das über die Frage, wer welche Rolle spielte oder übernahm weit hinausging. Ich kannte Gerion gut, das hier war nicht seine Art. Er musste sehr wütend sein. Und so gesehen, war dies auch keine kleine Rangelei, noch nicht mal eine Prügelei, sondern lebensgefährlich. Eine Bombe, kurz vor der Explosion. Und ich musste sie schnell entschärfen. Aber Gerion löste den Zünder. Er spuckte Ole ins Gesicht und aus meinem Bruder wurde eine gut trainierte Kampfmaschine. Jemand, der gelernt hat, wie man jemanden K.O. schlägt, und der hoffentlich nicht vergaß, dass man Menschen dabei schwer verletzten konnte. Ich warf mich zwischen die beiden und hoffte, dass noch einige andere eingriffen, doch stattdessen sammelte sich eine gaffende Gruppe um uns. Ole schob mich weg und auch Gerion deutete mir an, dass ich mich raushalten sollte. Aber was war das für ein Kampf? Gerion hatte gar keine Chance. Ole schlug ihn zu Boden und wartete bis er wieder aufstand, um erst dann wieder zuzuschlagen. Vielleicht sollte es wie ein gerechter Kampf aussehen, aber das war es nicht. Gerion konnte sich ernsthaft verletzen und langsam machte ich mir Sorgen, dass er längerfristige Schäden davon trug. Ich hielt Ole fest, aber in seiner Wut schlug er mich nieder und ich landete zwischen zwei parkenden Autos. Ich hörte Polizeisirenen und sah die Spiegelung des Blaulichts in den Fensterscheiben der Mietshäuser über mir, dann verlor ich das Bewusstsein.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich weggetreten war, aber als ich erwachte, lag ich auf dem Bürgersteig. Irgendjemand musst mich da hin geschafft haben. Gerion, Ole und die Polizei waren verschwunden und ein Mädchen beugte sich über mich.
»Alles okay.«
»Ja«, sagte ich und richtete mich auf. Dabei war nichts okay. Das Gegenteil war der Fall, ich hatte Schmerzen, wankte einige Schritte weiter, weg aus der Kneipengegend und übergab mich an einem Straßenbaum.
Ich erreichte Ole etwas später auf dem Handy. Er war auf eine unheimliche Art ruhig, er saß auf der Polizeiwache und wartete darauf, eine Aussage zu machen.
»Wo ist Gerion?«
Ole schwieg einen Moment. »Im Krankenhaus«, sagte er schließlich.
Ich legte sofort auf, denn ich wollte nicht weiter mit ihm reden. Ole hatte eine Grenze überschritten. Gerion war nicht nur mein Freund, er war wie ein Bruder für uns beide, er war Familie.
Gerion war nicht zu erreichen. Ich winkte ein Taxi heran und ließ mich ins nächste Krankenhaus bringen. An der Rezeption erfuhr ich, dass man Gerion gerade eingeliefert hatte, also bat ich, mich über seinen Zustand zu informieren, setzte mich in die Notaufnahme und wartete auf ihn. Eine Stunde später informierte man mich darüber, dass Gerion zur Beobachtung den Tag da blieb und nannte mir seine Station und das Zimmer.
Vielleicht war es naiv, zu glauben, dass ich einfach zu ihm gehen konnte, als hätte ich mit der ganzen Sache nichts zu tun. Als könnte ich der Vermittler zwischen Gerion und Ole bleiben. Tatsächlich aber hatte Gerion schon entschieden, auf welcher Seite ich stand. Als ich das Krankenzimmer betrat, lag er auf dem Bett, seine Nase war mit einem breiten Pflaster fixiert, ein Auge zugeschwollen.
»Hau ab!«
Ich trat trotzdem ein und ging zu seinem Bett.
»Ich weiß nicht, was mit Ole los war, was mit euch los war. Das war jedenfalls nicht meine Idee, dass ihr euch prügelt.«
Gerion ließ sich zurückfallen. Er sprach leise.
»Lasse, ich meine es ernst. Hau ab. Ich will euch beide nicht mehr sehen. Ich werde Ole verklagen. Du kannst dir überlegen, für wen du aussagst. Und jetzt lass mich allein.«
Ich wollte noch etwas sagen, ihm widersprechen, aber mir fiel nichts ein. Ich war verletzt und getroffen, aber ich war auch sauer. Wieso zog mich Gerion da mit hinein? Ich hatte ihn doch verteidigt, ich hatte Ole zurückgehalten. Das war ungerecht. Und auf fast unheimliche Art erinnerte mich das alles an die Begegnung mit Paul Parker.
12 Es war ein spontaner Entschluss. Ich musste etwas tun, ich konnte nicht einfach rumsitzen und abwarten. Wenn Ole sein Leben in den Sand setzte, okay, aber ich wollte das nicht.
Weitere Kostenlose Bücher