Lasse
Weder mein berufliches Leben, noch mein privates. Das vor allem nicht. Und deshalb musste ich nach München und versuchen, Moon zu treffen. Am liebsten wäre ich in der Nacht noch gefahren, was nur unvernünftig gewesen wäre, da ich schließlich nicht um fünf Uhr morgens bei Moon auflaufen konnte. So brachte ich die Nacht mit Recherche zu und hatte endlich Glück. Es war nur eine Frage der Entschlossenheit, die Adresse einer Person im Internet aufzuspüren. Drehbuchautoren hinterließen ihre Adresse in der Regel auf jedem Script und durch den Kontakt mit einer Filmproduktion, mit der Paul Parker gearbeitet hatte, bekam ich schließlich die Adresse heraus.
Dann holte ich mir kein Flug- sondern ein Zugticket, da ich Zeit brauchte, mich innerlich vorzubereiten. Denn was würde ich sagen, wenn ich Moon schließlich traf? Hallo, wollte nur mal sagen, ich glaube, du bist die Liebe meines Lebens ? Das hier war kein Liebesfilm mit hundertprozentiger Happyend-Garantie. Im Gegenteil. Das war mein Leben, was gerade ziemlich aus der Spur lief.
Die erste Klasse war voller Geschäftsleute. Der Vorteil war, dass mich hier garantiert niemand kannte oder erkannte. Das dachte ich jedenfalls und tauchte ab, setzte mir meine Earphones ein und hörte Musik. Die Doors . Seit ich ihre Musik mit Moon in Noras Schlafzimmer gehört hatte, war sie ein fester Bestandteil meiner Playlist geworden. Mit dem Sound ging ich sofort auf Zeitreise, zurück an den Ort, den Geruch ihrer Haut, das Gefühl der Geborgenheit. Etwas, das mir so sehr fehlte, dass es weh tat.
Mein iPhone klingelte in meine Musik hinein, der Nachteil, wenn das Handy auch der Musikspeicher war. Meine Mutter. Natürlich. Ich hatte den Anruf schon früher erwartet.
»Ja?«
»Lasse, kannst du mir sagen, was da los war?«
»Wo?« Es war sinnlos so zu tun, als ob ich nicht wüsste, wovon sie sprach. Auf der anderen Seite war es besser, erst einmal zu hören, wie ihr Informationsstand war.
»Wo? Du warst dabei, oder? Ich will wissen, was passiert ist. Und zwar eine möglichst objektive Schilderung.«
»Ich habe keine Ahnung. Echt nicht. Ole fand es mies, dass Gerion die Rolle angenommen hat, die eigentlich ich bekommen sollte und plötzlich haben sie sich geprügelt. Ich bin dazwischen gegangen und habe einen Schlag von Ole abbekommen und war kurz weg.«
»Geht es dir gut? Du solltest dich untersuchen lassen. Mein Gott, was ist denn los? Ich verstehe das nicht. Und ich bin mir nicht sicher, ob Ole so unschuldig an der Sache ist. Gerion würde sich doch nie prügeln. Du kennst ihn.«
Gerion prügelte sich tatsächlich in letzter Zeit nicht mehr oft. Er spielte auch eigentlich nicht in Familienkomödien mit und war immer bereit, über eine Sache zu reden. Das hatte sich offenbar alles geändert.
»Hast du mit Gerion geredet?«, fragte ich meine Mutter. Sie schwieg einen Moment. »Er hat mich angerufen. Du weißt, er ist wie ein Sohn für mich. Er hat mich um Rat gefragt.«
»Und?«
»Wenn es stimmt, dass Ole ihn angegriffen hat, dann ... ich verstehe, wenn er ihn anzeigt.«
Moment mal, Gerion wollte Ole tatsächlich anzeigen?
»Anzeigen? Wieso denn?«
»Wieso? Ende September beginnt sein Dreh. Es ist nicht klar, ob Gerion bis dahin wieder okay ist.«
Ein Zugbegleiter stand neben mir und wollte meine Fahrkarte sehen. Ich kramte nach meinem Internetausdruck und meiner Bahncard.
»Wo bist du?«, fragte meine Mutter irritiert.
»Ich sitze im Zug. Ich besuche eine Freundin.«
Ich reichte dem Zugbegleiter meine Fahrkarte. Ich hasste es, wenn Leute telefonierten und gleichzeitig bezahlten oder eine Bestellung aufgaben oder ihre Fahrkarte überreichten.
»Ich rufe gleich zurück«, sagte ich meiner Mutter, nahm die Ohrstöpsel aus den Ohren, legte das Telefon ab und sah auf. Warum trugen Zugbegleiter diese Uniformen? Sie waren unbequem und sahen schlecht aus. Vermutlich, damit man ihnen Respekt entgegenbrachte. Ich lächelte automatisch, als ich meine Fahrkarte zurücknahm.
» Sweet Sixteen ?«
Auch das noch . Ich nickte.
»Meine Tochter hat den Film dreimal gesehen.«
Ich nickte wieder, einfach nur, um wenig Aufsehen zu erregen. Trotzdem wusste ich, was als Nächstes kam.
»Könnte ich vielleicht ein Autogramm haben? Für meine Tochter.«
Meine Sitznachbar wurde aufmerksam, genau das, was ich eigentlich hatte vermeiden wollen. Ich kritzelte meinen Namen schnell auf das Stück Papier, das der Zugbegleiter mir hinhielt, lächelte wieder und nahm das Telefon auf. Ich
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