Lasse
Brief von Agnes. Sie hatte ihn mir ins Hotel geschickt und er enthielt ein Foto. Als ob ich eines für den Bilderrahmen brauchte. Mir fiel ein, dass ich heute Morgen Moon gebeten hatte, mir frische Sachen aus meinem Zimmer zu holen, als ich bei ihr geduscht hatte. Hatte sie den Brief gesehen? Versaute ich mir gerade wieder alles durch meine Ungeklärtheit? Nur, dass ich geklärt war. Gerade war es Moon, die offenbar noch ein paar Dinge in Ordnung bringen musste. Wenn sie das überhaupt wollte. Ich holte mein iPhone heraus und setzte mich vor mein Bett auf den Boden und lehnte mich stöhnend zurück. Dann sah ich auf das Display. Drei verpasste Anrufe meiner Mutter, einer meines Vaters. Ich hatte keine Lust, zurückzurufen. Nicht jetzt.
Ich saß eine halbe Stunde regungslos, dann hörte ich Stimmen auf dem Gang und wie Moon nebenan ihr Zimmer aufschloss. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Eine tiefe Stimme, eine hohe Stimme. Reden, Lachen, das Bett quietschte, als sich jemand darauf warf. Fan ocksa ! Es gab nur einen Menschen, mit dem ich jetzt sprechen wollte. Ich hatte kaum gewählt, da hob er schon ab.
»Hej?!«
»Ich bin's.«
Er atmete enttäuscht aus. »Vad händer?«
Wollte er jetzt Schwedisch mit mir reden?
»Wo bist du?«, fragte ich skeptisch.
»In einem Hotel in der Nähe.«
Ich wusste, welche Nähe er meinte.
»Kann sein, dass ich dich gleich wegdrücke, ich erwarte noch nen Anruf«, sagte Ole, seine Stimme zitterte leicht. So hatte ich ihn noch nie erlebt.
»Verstehe. Und was ist jetzt?«
»Sie will ihn nicht verlassen. Kapierst du das? Sie liebt mich, ich weiß das genau. Sie kann doch nicht bei ihm bleiben.«
Ich hörte von drüben, wie die Dusche anging und sah für einen Moment Moons perfekten Körper zusammen mit irgendeinem Typen unter dem Wasserstrahl stehen.
»Sie braucht vielleicht noch Zeit«, sagte ich Ole und eigentlich auch mir.
»Zeit wofür?«, kam es prompt.
»Weiß nicht. Zum Entscheiden. Sie ist ... verheiratet, immerhin.«
»Ich hätte das gar nicht zulassen dürfen, weißt du Lasse, das war schon der Fehler.« Ole tigerte offenbar in seinem Hotelzimmer herum, zwischenzeitlich war der Empfang schlecht dann wurde er wieder besser.
»Okay, und was willst du machen? Musst du nicht zurück? Drehen?«
»Wieso drehen? Hör mal, das ist hier mein Leben, was vielleicht gerade abkackt. Skit!«
Die Dusche ging aus, wieder quietschte drüben das Bett, nun lagen sie wohl zu zweit darauf. Diese verdammten Papierwände.
»Und was willst du machen, wenn sie kommt? Du bist doch ständig unterwegs, drehst, du willst doch gar keine feste Beziehung. Und dann noch mit Kind.«
Ole schnaubte genervt. »Hör mal, das hier ist was anderes. Das verstehst du vielleicht nicht. Elin ist mein Kind. Mein ... Leben. Und Linnea ...«
Er brach ab. Heulte er?
»Ich habe es gesehen«, sagte ich leise, aber sicher. »Sie ist noch verliebt in dich.«
Es war kurz still in der Leitung. »Okay, Lasse? Ich mach Schluss, ich kriege gerade nen Anruf.«
»Ja, gut. Lycka till!«
Ich beendete den Anruf und starrte auf das Display. Mein Herz raste. Wie konnte das passieren, dass Ole und ich auf einmal dabei zusehen mussten, wie andere unseren Platz einnahmen? Sollte ich jetzt nach drüben zu Moon gehen? Anklopfen, fragen, was los war? Ich ließ meinen Kopf zurück auf das Bett fallen. Ganz ruhig . Moon war weder verheiratet noch hatte sie ein Kind. Und sie würde auch nicht heiraten. Sie hatte die Geschichten von Krista gehört, von Agnes und trotzdem hatte sie mir vertraut. Nun verdiente sie etwas von meinem Vertrauen.
Ich hatte zwischen drei Möglichkeiten abgewogen, obwohl im Grunde nicht vorhatte, wieder rückfällig zu werden: Mich in der Hotelbar zu betrinken, mich auf dem Zimmer zu betrinken, früh ins Bett zu gehen. Mir Alkohol aufs Zimmer bringen zu lassen kam mir seltsam vor, nachdem ich auf das Ausräumen der Minibar bestanden hatte und die Hotelbar schied aus, da ich das Zimmer nicht verlassen wollte. Es war vielleicht idiotisch, aber ich wollte hören, ob der Typ bei Moon irgendwann noch mal ihr Zimmer verließ, ob sie Sex hatten, was da überhaupt los war. Also legte ich mich aufs Bett und starrte an die Wand gegenüber, von wo immer weniger Geräusche kamen und schlief schließlich in meinen Kleidern ein.
Seltsamerweise wachte ich am Morgen entspannt auf. Ich hatte mich irgendwann gegen morgen noch ausgezogen und als der Wecker klingelte, war ich froh, dass die Nacht vorbei war. Jetzt
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