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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Maier
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Sprache, die die neuen Eltern hier verstehen. Maßvoller Spaß – ja, Ausflippen – sicher nicht. Da braucht es Babysitter, die – gerade volljährig – das muttieske Wort »Schabernack« zu ihrem Wortschatz zählen.
    Es gibt eine Menge Nachrichten, die sich an Gäste und Zugezogene richten. Verfasst und gesendet werden sie von jenen, denen ihr Viertel längst zu aufgeräumt, zu familiendiktatorisch, zu windschnittig geworden ist. Auf Werbepostern für Yogastudios prangen neuerdings Sticker: »Fuck Yoga!« Die Facebook-Seite vom Hemholtzplatz startet mit der Botschaft: »I‘m not a tourist. I live here.« Und in den dicken Schaufensterscheiben des LPG -Biosupermarktes hat der Glaser erst kürzlich die Einschusslöcher mit rotem Tape markiert. Seit Jahren tauchen im Bezirk zu traditionellen Feiertagen Plakate auf, die die zugezogenen Edel-Eltern recht unverblümt auffordern, sich zu trollen. Es begann an Weihnachten 2006. Damals prangte an Mauern und Trafohäuschen Gelb auf Schwarz folgende Botschaft: » OSTBERLIN WÜNSCHT EINE GUTE HEIMFAHRT !« Dazu hatten die letzten Kapitalismuskritiker vom Prenzlauer Berg die Reiseziele geschrieben, wohin die Edel-Eltern über die Feiertage aufbrechen sollten: »Erlangen 430 Kilometer, Koblenz 580, Stuttgart-Sindelfingen 610 Kilometer.«
    Das war nicht gerade nett. Man fragte sich, ob man die Plakate unter Berliner Humor verbuchen sollte, der ja bekanntlich recht wurschtig sein kann, oder unter Fremdenfeindlichkeit. Dass die lokale Presse ausgiebig darüber berichtete, war ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Verdrängung der alteingesessenen Ostberliner durch Zugezogene ein virulentes Thema darstellt. Nach dem Motto: Endlich sagt’s mal einer.
    Also ein einmaliger Ausrutscher? Nein, zu Weihnachten 2007 hielten die klassenkämpferischen Kreativen vom Prenzlauer Berg erneut eine Botschaft für ihre westdeutschen Mitbürger bereit. An den Fenstern von Restaurants und Kneipen hingen Zettel folgenden Inhalts: »Liebe Gäste, ihr fahrt alle nach Hause zum Gänsebratenessen, und deshalb machen wir vom 21. bis 26. Dezember zu.« Man hätte meinen können, diese nicht unübliche Ankündigung der örtlichen Gastronomie sei es schon gewesen. Aber nein, unter der Nachricht prangte erneut eine Weihnachtsbotschaft: » OSTBERLIN WÜNSCHT EINEN GUTEN APPETIT . WEIHNACHTEN 2007 – DIE TAGE DER BEFREIUNG !«
    Uijuijui, da war aber was los. Die erneute unfreundliche Aufforderung, das Gelände zwecks Familienzusammenführung in der Heimat zu räumen und den Bezirk wenigstens über die Festtage seinen Ureinwohnern zu überlassen, war der sichere Hinweis darauf, dass da offensichtlich jemand vorhatte, am Thema dranzubleiben. Und möglicherweise handelte es sich dabei ja sogar um mehrere Personen, die hier einen auf aggressive Ostberliner machten?
    Man möchte nicht in den so Angesprochenen dringesteckt haben. Den Schwaben und Bayern, den Eingeheirateten und Angeheuerten. Was sollten sie denn machen? Den Umzugswagen rufen und ihren schönen kinderfreundlichen Bezirk verlassen?
    Ich fühlte also mit den Neubürgern des Prenzlauer Bergs. Im Sommer drauf zierten frische Botschaften das Straßenbild: » NEUE MAUERN BRAUCHT DAS LAND . MÖRTEL CREW OSTBERLIN !« Zu sehen waren die Hochburgen der Macchiatomütter: der neu eröffnete Biosupermarkt, das angesagte Internetcafé St. Oberholz oder ein Krimskrams-Geschäft namens »Kauf dich glücklich«. Kundige Gestalter hatten die Fenster und Eingänge der fotografierten Häuser und Läden per Photoshop zugemauert. Um ehrlich zu sein, sah das ungefähr so aus wie der Prenzlauer Berg in den Achtzigerjahren. Da gab’s hier gerade mal ein paar Konsum- und HO -Läden sowie zwar gemütliche, aber muffige Kneipen. Und das Bier für 51 Pfennig. Wollten diese Plakatkleber wirklich den Osten zurück, wieder Rosenthaler Kadarka und Berliner Pilsner in düsteren Parterrewohnungen trinken, während das Klo auf halber Treppe wieder mal eingefroren ist und der Braunkohleofen seinen üblen Gestank verbreitet?
    Ich verabrede mich mit einem der Plakatisten. Aus gutem Grund möchte er anonym bleiben, die Aktionen sind ja nicht nur Beleidigungen, sondern auch Sachbeschädigungen. Die Vorstellung, wegen einer beklebten Fassade von einem dieser Immobilienheinis aus dem Westen auch noch angezeigt zu werden, schreckt ihn. Es stellt sich heraus, dass dieser Mann keineswegs giftig und humorfrei ist, sondern insgesamt ausgesprochen sympathisch und klug. Er, der hier im

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