Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Café, mal ohne, wenn die Familie irgendwo im Wald steht und Malika die nächsten fünf Kilometer getragen werden möchte. Ich kann mich gut erinnern.
Als unsere dreijährige Tochter einst kapiert hatte, dass hysterisches Kreischen mitunter schneller zum Erfolg führt als freundlich zu lächeln oder bitte und danke zu sagen, geriet auch unsere Familie in diese zwischenmenschliche Abwärtsspirale. Was kann man schon groß unternehmen gegen ein Kind, das seinen Willen lauthals und öffentlich durchzusetzen gewillt ist? Das Kind zerrt an den Nerven, alle starren herüber, um mal zu gucken, wie die Eltern das lösen … Als ihr Vater bei einer solchen Gelegenheit mal wieder am Ende mit seinem Latein war, als er das tobende Kind in voller Montur aus einer riesigen Pfütze gezerrt hatte, als alles Trösten und Versprechen nichts ausgerichtet hatten und das Schreigirl weder hierbleiben noch nach Hause wollte, weder gefahren noch getragen werden wollte – da, ja da sprach auch er zum Kinde: »Du, ich gehe jetzt nach Hause, du kannst ja nachkommen.«
Er wendete sich ab und schob den leeren Buggy Richtung Spielplatzausgang. Die Reaktion war malikaesk: Das Kind stutzte, guckte, kapierte – und verfiel in jenes herzerweichende heisere Protestschluchzen, das Mutter Natur so eingerichtet hat, damit Eltern ihre Kinder eben nicht im Wald stehenlassen oder ihnen kurzerhand den Hals umdrehen.
Doch der Vater schob weiter. Zentimeter um Zentimeter. Da stellte sich ihm eine engagierte Spielplatzmutter in den Weg und giftete: »Was Sie hier machen mit dem Kind, das ist FOLTER !«
Dieser Vorwurf bewirkte Unglaubliches. Er starrte der Mutti mitten ins Gesicht, holte kurz Luft und brüllte sie nieder: »Halt doch deine blöde Schnauze! Kümmer dich um deine eigene Brut und misch dich nicht in fremder Leute Angelegenheiten ein, du …!« Er beendete seinen Satz mit einem F-Wort, das ich hier nicht hinschreiben möchte.
Man muss sich das mal vorstellen: Ein Mann, also mein Mann, der nachts die Straßenseite wechselt, damit sich ihm begegnende Frauen nicht bedroht fühlen; ein Mann, der gut kocht, Liebes- SMS schreibt, Elternzeit nimmt und im Großen und Ganzen eher zu leise als zu laut spricht – dieser Mann vergisst sich, weil eine Fremde seine pädagogische Kompetenz in Zweifel zieht? So etwas kriegen nur Kinder hin, die es wirklich wissen wollen. Kinder, die ihr Fahrrad in Raserei auf den Gehweg knallen oder in nervenzerfetzender Weise den öffentlichen Raum beschallen. Die wir hinter Wohnungstüren hervorwimmern hören oder auf dem Bauch unter dem Klettergerüst vorfinden. Es sind unsere Kinder. Es ist unsere Erziehung. Auf so was, auf die Malikas und Väter, die Räder und Buggys, die Foltervorwürfe und F-Wörter, kann man sich einfach nicht vorbereiten. Das sind Situationen, die wie ein Tsunami in unsere Leben fegen und den letzten Rest Selbstbeherrschung wegblasen. Die aus uns pädagogisch vollversagende und politisch inkorrekte Vollspaten machen. Schön ist das nicht. Aber wenigstens fressen wir unsere Kinder nicht auf, wenn sie nicht mehr weiterlaufen wollen.
I m Väterzentrum oder
P ure Entspannung ohne Lätzchengewedel
V erglichen mit Westdeutschland, ist das doch hier die Insel der Glückseligen«, sagt der Mann über seinen Bezirk. Da hat er zweifellos recht. Er ist einer von drei Vätern, die heute zum Papa-Frühstück ins Väterzentrum gekommen sind, einer Art geschlechtsspezifischer Schutzhütte für Männer.
Hier geht es, man sieht es sofort, ein bisschen weniger ordentlich zu. Auf dem Boden liegen Babymatten, auf denen die Kinder der drei Prenzlauer-Berg-Männer herumpurzeln. Drumherum wurde schon länger nicht mehr gefegt und gewischt. An der Seite steht eine Torwand. Und das Frühstücksbüfett, das auf dem Tisch an der Wand bereitsteht, sieht eher nach Aldi als Bioback aus. Alles in allem eine ziemlich entspannte Angelegenheit: Die Männer quatschen, die Kinder krabbeln ruhig ihre Runden, ab und zu greift mal einer nach der Küchentuchrolle, um Moritz’ oder Mikas Kotze wegzuwischen.
Diese Männer wollen ungestört sein. Wenigstens ab und zu mal für ein paar Stunden. Sie möchten nicht dabei beobachtet werden, Väter zu sein. Und sie wollen den Frauen in ihren Leben, also den Müttern ihrer und aller anderen Kinder auf den Spielplätzen, in den Kitas und Cafés, einfach mal den Raum geben, den sie offenbar brauchen, um sich dort ausgiebig zu profilieren. So jedenfalls begründen die drei ihr Hiersein.
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