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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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und hoffte von mir vor allem, dass ich durch meine Bekanntschaften ihr den Eintritt in die aristokratischen Kreise erleichtern würde. Dann würde es, kalkulierte sie, auf die Länge an einem gräflichen oder gar morganatischen [80] Schwiegersohn nicht fehlen.
    Der Sommer machte zunächst einen Strich durch diese Rechnungen, da die ›Gesellschaft‹ sich zerstreute und aufs Land hinauszog. Auch meine beiden Damen mieteten eine Villa in Tegernsee, zu meinem Leidwesen, da ich jetzt nur einmal alle sieben Tage sie besuchen konnte. Die Entbehrung schürte nun allerdings die Flamme dergestalt, dass ich von Samstag zu Samstag in einer fieberhaften Ungeduld hinlebte, zugleich in steter Angst, während meiner langen Entfernung möchte sich irgendjemand an die einsamen Frauen herandrängen, der den Ansprüchen der Mama genügte und der Tochter nicht unwillkommener als irgendein anderer wäre.
    Diese Sorge war überflüssig. Dagegen verfinsterte sich plötzlich die Luft über der ganzen deutschen Welt so drohend, dass alle Einzelschicksale davon überschattet wurden.
    Der Französische Krieg brach aus. Ich begrüßte ihn freudig, auch weil er meiner eigenen unerträglichen Situation ein Ende machte. Nur mit genauer Not, indem ich einen nächtlichen Ritt daransetzte, konnte ich die Zeit zu einem Abschiedsbesuch in Tegernsee erschwingen. Ich fand am frühen Morgen das schmerzlich geliebte Mädchen im Garten, da sie mein Kommen nicht erwartet hatte. Sie hatte ein Bad im See genommen, und die Morgenluft schauerte über ihre blasse Haut und das blonde Haar, das wie ein weicher Mantel über den Rücken hinabhing. Als sie hörte, was mich zu so ungewohnter Zeit hinausgeführt, wechselte sie die Farbe keinen Augenblick, nur ihre Augenlider senkten sich, als ob sie einen Vorhang über das niederlassen wollte, was in ihr vorging.
    ›Nun‹, sagte sie, ›da wird ja Ihr sehnlichster Wunsch erfüllt. Non più andrai farfallon amoroso [81] – Sie werden Wunder der Tapferkeit verrichten und als ein berühmter Sieger zurückkehren. Ich wünsche Ihnen das beste Glück und werde Ihrer täglich gedenken.‹
    ›Werden Sie das wirklich?‹, sagte ich. ›Und etwas herzlicher als jedes anderen Muttersohns, der seine Brust pro patria den Kugeln der französischen Mitrailleusen [82] aussetzt?‹
    ›Wie können Sie daran zweifeln!‹, sagte sie und brach eine Blume ab, deren Duft sie wieder mit jenem sehnsüchtigen Ausdruck einsog. ›Sie wissen, dass ich Ihnen sehr gut bin. Habe ich Ihnen nicht auch mehr Vertrauen beweisen als noch je irgendeinem jungen Mann? Sind Sie damit nicht zufrieden?‹
    ›Nein, Abigail‹, sagte ich, ›und Sie wissen ja auch sehr gut, warum.‹ Und nun schüttete ich mein ganzes Herz zum ersten Male – da ich dachte, es sei vielleicht das letzte Mal – in leidenschaftlicher Erregung vor ihr aus. ›Ich weiß‹, schloss ich, ›Sie empfinden gar nichts Ähnliches. Der Blitz, der in mein Herz eingeschlagen, hat Ihnen nicht ein einziges Haar Ihrer Stirnlöckchen versengt. Ich bin auch nicht so verblendet zu glauben, Sie würden aus bloßem Mitleid, um mich nicht ganz hoffnungslos ins Feld ziehen zu lassen, ein wärmeres Gefühl heucheln. Es musste mir aber einmal von den Lippen zu meiner eigenen Erleichterung – und nun empfehlen Sie mich Ihrer Frau Mutter, deren Morgentoilette ich nicht stören will, und bewahren Sie mir ein geneigtes Andenken.‹
    Da schlug sie die Augen auf und sah mir gerade ins Gesicht, sehr ernsthaft, während ihre sonst immer gleichmäßig gefärbten Wangen eine leichte Röte überflog, die sie sehr verschönte.
    ›Nein‹, sagte sie, ›so dürfen Sie denn doch nicht von mir gehen, und Gott weiß, ob man sich je wiedersieht. Ich will Ihnen das Geständnis mit auf den Weg geben, dass ich fest überzeugt bin, wären Sie noch ein paar Wochen oder Monate wie bisher freundlich und gut gegen mich gewesen, so hätte sich der bewusste Eiszapfen in ein frisch grünendes Reis [83] verwandelt und Blüten getrieben – wieder ein hinkendes Bild, aber Sie verstehen mich. Vielleicht denken Sie an dieses Frühlingsmärchen, wenn Sie im kalten Biwak nachts nicht einschlafen können, und erwärmen daran Ihr fröstelndes Herz.‹
    Ich kann nicht schildern, wie mir bei diesen Worten zumute war. Was ich in dem ersten Schwindel und Taumel aller Gefühle gestammelt habe, mögen die Götter wissen. Nur so viel ist mir erinnerlich, dass ich unter anderem die Zumutung an sie stellte, nun auch sofort zur Mutter zu

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