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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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wären sie mit absichtlicher Koketterie der glatten Haut eingeätzt worden, um deren edle Feinheit desto mehr bemerklich zu machen.
    Und so die Hände, als sie beim Souper die Handschuhe abstreifte, der schönste Fuß im weißseidenen Schuh, ein Ebenmaß und eine Schmiegsamkeit der Glieder, die sie dem österreichischen blauen Blut, nicht der schottischen Hochlandrasse verdankte.
    Ich war, soweit ich den ersten Blick auf das herrlichste Geschöpf geworfen hatte, unter dem Zauber dieser fremden, kühlen Augen. So unbefangen ich sonst selbst den reizendsten Frauen gegenübertrat, das Herz schlug mir heftig, und meine Rede verwirrte sich, als ich ihr vorgestellt wurde und sie um einen Tanz bat.
    Auch fand ich meine Besinnung nicht so bald wieder, während ich mit ihr durch den weiten Saal mich umschwang, und war wütend auf mich selbst, dass ich eine so unbeholfene Figur machte. Beständig musste ich denken: ›Sie ist kein Weib wie alle anderen. Eine Göttin! Kein Wunder, dass ihre Blicke so kühl auf das armselige Menschengewühl herabsinken. Ist es zu denken, dass man einen solchen Mund küssen dürfte? Und der Sterbliche, um dessen Hals sich diese Arme schlängeln, müssten dem nicht die Sinne vergehen und er in diesem übermenschlichen Glück zu einem Aschenhäufchen verlodern?‹
    Sie sehen, es war eine richtige Bezauberung. Was man von Blitz und Schlag einer plötzlichen Verliebung redet, hatte ich an mir erleben sollen.
    Ich gewann aber bald so viel Herrschaft über mich, dass ich mich mit guter Manier in mein Schicksal ergeben und an diesem ersten Abend die Rolle eines ritterlichen Verehrers spielen konnte, ohne mich zu so überschwänglichen Huldigungen fortreißen zu lassen wie die meisten meiner Kameraden. Das kam mir mehr zustatten, als wenn ich an Schönheit und Liebenswürdigkeit alle überglänzt hätte. Denn das seltsame Mädchen, obwohl dies ihr erster Ballwinter war, nahm doch alle Auszeichnungen, die ihr zuteilwurden, zumal die süßen Reden ihrer Tänzer, mit so kühler Miene entgegen, als ob es ihr beim Tanz einzig und allein auf die Bewegung ankäme und die eitlen jungen Herren, so schön geputzt und frisiert sie waren, ihr nun als Mittel zu diesem Zweck willkommen wären.
    Das gestand sie mir denn auch ganz harmlos, als wir beim Souper miteinander plauderten, und dass es ihr eher lästig und langweilig sei, wegen ihrer Schönheit beständig begafft und umschmeichelt zu werden. Keine Spur von Koketterie konnte ich an ihr bemerken, doch einen Hang zur Ironie und Menschenverachtung, der in einem minder reizenden Wesen sehr abstoßend gewirkt hätte, an Fräulein Abigail aber nur wie ein seltsames Schmuckstück, etwa ein blanker Stachelgürtel um den schmiegsamen Leib, sich ausnahm.
    Da ich ihr nicht ein einziges schmeichelndes Wort sagte, wurden wir gleich an diesem ersten Abend sehr gute Freunde, und ich erhielt sogar von der Mutter die Erlaubnis, sie in ihrem Hause aufzusuchen.
    Ich machte, wie Sie denken können, gleich am anderen Tage davon Gebrauch. Ich musste doch fragen, wie der Ball ihnen bekommen sei, und fand die Damen in einer möblierten Wohnung so behaglich eingerichtet, dass mir klar wurde, sie lebten in den bequemsten Verhältnissen. Gleichwohl machte die Mutter kein Hehl daraus, dass sie nur gekommen sei, um für die Tochter einen Mann zu finden, wozu auf dem abgelegenen Landsitz keine Aussicht sei. Das Mädchen hörte jede Äußerung, die in diesem Sinne fiel, mit dem äußersten Gleichmut, wie wenn es sich durchaus nicht um sie selbst dabei handele, sondern um eine Laune der Mama, die hoffentlich auch wieder vergehen werde.
    Das Zutrauen, das sie so rasch zu mir gefasst hatte, entzog sie mir auch nicht wieder, sondern gab mir immer neue Beweise, dass ihr meine Gesellschaft angenehm sei, meine Art, Welt und Menschen zu betrachten, ihr die richtige scheine. Sie erzählte mir ihr ganzes Leben, das freilich keinem Roman ähnlich sah. Verliebt war sie nie gewesen und konnte sich von dem Zustand eines leidenschaftlichen Herzens überhaupt keine Vorstellung machen. Geliebt hatte sie nur einen Menschen, ihren Vater. Mit ihrer Mutter verstand sie sich in keiner Sache und beobachtete alle kindlichen Pflichten fast mechanisch, ohne das Geringste dabei zu empfinden. ›Ja‹, sagte sie mir einmal, ›es ist vielleicht so, wie Sie sagen, ich habe kein richtiges Mädchenherz, und doch –‹, dabei drückte sie die Augen ein, lehnte den schönen blonden Kopf zurück, und ihre halb geöffneten

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